© Sabine Rübensaat

Pansenazidose: Wie viel des Guten darfs denn sein?

Kraftfutter steigert die Milchleistung – aber zu viel davon kann zu einer akuten oder subakuten Pansenazidose mit gravierenden Folgen führen. Worauf man daher achten sollte.

Von Dr. Michael Götz, M. Götz Agrarjournalist GmbH Eggersriet (Schweiz)

Die Pansenazidose oder Übersäuerung des Pansens tritt immer häufiger auf. Bei hohen Anteilen Kraftfutter und/ oder zuckerreicher Grundfutterkomponenten ändert sich die Zusammensetzung der flüchtigen Fettsäuren, die bei der Verdauung entstehen. Der pH-Wert im Pansen sinkt, das heißt das Milieu wird sauer.

Strukturarme Fütterung führt zu Übersäuerung

Der Pansen des Wiederkäuers ist auf die Verdauung von pflanzlichen Rohfasern mithilfe von Mikroben wie Protozoen, Bakterien und Pilzen eingerichtet. Die Mikroben bauen die Zellulose der Rohfaser vornehmlich zu Essigsäure ab, welche die Kuh zur Bildung von Milchfett verwendet. Bei strukturarmer Fütterung, das heißt bei der Zufütterung von leicht verdaulichen Kohlenhydraten, entsteht vermehrt Milchsäure, das Milieu im Pansen wird sauer und die Zellulose abbauenden Mikroben werden gehemmt. Als Folge des sauren Milieus entzündet sich die Pansenschleimhaut. Das öffnet Giftstoffen und Krankheitserregern den Weg in die Blutbahn. Es kann zu Leberabszessen und anderen Folgeerkrankungen kommen.

„Das Hauptproblem ist die Fütterung“, erklärt Mireille Meylan, Professorin und Leiterin der stationären Wiederkäuerklinik der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern. „Bei zu viel Kraftfutter kann es zu einer akuten oder einer subakuten Azidose kommen. Zu einer akuten Erkrankung kommt es meistens dann, wenn die Kuh unplanmäßig an Kraftfutter gelangt und sich daran überfrisst. Es ist, wie wenn wir zu viel Schokolade essen, doch sind die Folgen für die Kuh dramatischer.“

Der pH-Wert im Pansen fällt unter 5,0. Es kann zu schweren Verdauungsstörungen kommen, zum Festliegen und im schlimmsten Fall sogar zum Tod der Kuh. Der Bestandstierarzt behandelt leichtere Fälle mit der Eingabe von Natriumbikarbonat direkt in den Pansen. Bikarbonat wirkt basisch und neutralisiert die im Pansen gebildete Säure. Bei schweren Fällen kann es nötig werden, den Pansen auszuräumen. Häufig werden diese Operationen in einer Tierklinik ausgeführt, können aber auch auf dem Betrieb gemacht werden. „Diese Operation ist eine große Belastung für das Tier“, sagt Meylan. Solche akuten Formen der Azidose kommen zum Glück selten vor.

Subakute Azidose wird nicht immer erkannt

Häufiger als die akute Azidose ist die subakute oder subklinische Azidose. Sie ist, wie die Bezeichnung schon vermuten lässt, schwierig zu diagnostizieren, da sich die Auswirkungen erst allmählich nach mehrwöchiger Pansenübersäuerung bemerkbar machen. Die Symptome sind wenig spezifisch. Oft beobachtet man eine verminderte oder wechselhafte Futteraufnahme, eine wechselnde Kotkonsistenz, unverdaute Körner, lange Fasern und Durchfall. Das Auswaschen des Kotes in einem Sieb oder das Auspressen zu einem Faserkuchen geben Rückschlüsse auf die Verdauung der Nahrung.

Besteht eine Mischration aus vielen kleinen Futterpartikeln, kann das Futter im Pansen vermusen. Mit der Schüttelbox-Methode lässt sich die Struktur des Futters prüfen. Neben einer schwankenden Zusammensetzung des Kotes können auch die Abnahme der Milchleistung und des -fettgehaltes sowie ein Fett-Eiweiß-Quotient unter eins Indikatoren für eine subakute Pansenübersäuerung sein. Gemäß DLG-Blatt 451 genügen die Milchinhaltsstoffe allein nicht, um eine Pansenazidose zu diagnostizieren. Erst eine Kombination mit anderen Indikatoren gibt Klarheit. Meistens sind mehrere Tiere eines Bestandes von einer subakuten Pansenazidose betroffen.

Das Zählen der Kauschläge ist ein gutes Hilfsmittel, um zu erkennen, ob das Futter genügend strukturiert ist. Pro Bissen sollte die Kuh etwa 55 Wiederkauschläge machen. Je mehr die Kuh wiederkaut, desto mehr Bikarbonathaltigen Speichel produziert sie, der die Säuren im Pansen puffert. Ist das Futter wenig strukturiert, kaut die Kuh weniger und produziert weniger Speichel. Der pHWert im Pansen fällt in der Folge unter das Optimum für die faserabbauenden Pansenmikroben, bleibt aber über 5,0. Ob sich eine subakute Pansenazidose entwickelt, hängt gemäß einem Merkblatt* der schweizerischen Forschungsanstalt Agroscope davon ab, wie lange der pH-Wert tief bleibt.

Folgeerkrankungen können gravierend sein

Wegen der Schädigung der Schleimhaut gelangen Bakterien durch die Pansenwand ins Blut und von dort in die Leber. Die Bakterien können nicht nur zu Abszessen in der Leber führen, sondern auch in die Hohlvene durchbrechen, durch welche das Blut vom Bauchraum zum Herzen zurückfließt, und zu Herzklappenveränderungen führen.

Vom Herzen herkommend können Keime weiter in die Lunge gelangen und auch dort zu Abszessen führen, erklärt Meylan. Klinisch lassen sich die Veränderungen zum Beispiel durch Ultraschall-Untersuchungen der Leber und der Hohlvene feststellen. Besonders gefürchtet sei das postkavale Syndrom.

Dieses erreicht seine volle Ausprägung, wenn ein Lungenabszess die Wand eines größeren Blutgefäßes erodiert, das heißt schädigt. Die Kuh hustet und spuckt Blut, sie kann innerhalb kurzer Zeit verbluten. „Man muss den Weg zurückgehen. Das Problem ist im Pansen zu suchen“, erklärt die Spezialistin für innere Medizin.

Der Landwirt kann die subakute Azidose daran erkennen, dass bei der Kuh immer wieder Fieber auftritt, nämlich immer dann, wenn Bakterien ins Blut gelangen. Die Kuh leidet aufgrund der multiplen Abszesse an chronischen Schmerzen. Eine Pansenazidose, akut oder subakut, kann auch zu Klauenerkrankungen führen.

Hochleistungskühe erkranken schneller an pansenazidose

„Die subakute Azidose entsteht dann, wenn die Tiere an ihre Leistungsgrenze gelangen“, sagt Meylan. Diese Grenze sei heute schneller erreicht als früher, da Milchkühe immer intensiver mit mehr Kraftfutter gefüttert werden. Auch in der Rindermast ist die Pansenazidose ein aktuelles Thema, da die Tiere auch dort sehr intensiv gefüttert werden. Natürlich können auch Mutterkühe an Azidose erkranken, aber dies kommt nur sehr selten vor, da sie bei der extensiven Haltung wenig beziehungsweise gar kein Kraftfutter erhalten.

Einer Azidose vorzubeugen, ist auch bei Milchkühen möglich, wenn man sie tiergerecht mit genügend Raufutter füttert, hält Meylan fest. Der Rohfasergehalt der Ration sollte dabei zwischen 16 und 18 % liegen. Zudem sollte der Gehalt an leicht verdaulichen Kohlenhydraten die Grenze von 7,5 % (Zucker) beziehungsweise 25 % (Zucker plus unbeständige Stärke) nicht überschreiten.

Puffergaben verdecken das Problem

Viele Tierfutterhersteller bieten heute Mineralstoffmischungen mit Salzen und Lebendhefen an, die eine Pufferwirkung haben. Man sollte aber nicht zu sehr auf die Puffer setzen. Eine regelmäßige Verabreichung von diesen Stoffen als vorbeugende Maßnahme könnte dazu führen, dass die Symptome, die auf eine subakute Pansenazidose hinweisen, nicht mehr wahrgenommen werden. Der Einsatz von Puffern bekämpft lediglich die Symptome, unbehandelt bleiben jedoch ihre fütterungsbedingten Ursachen!


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An warmen und heißen Sommertagen ist das Risiko einer Pansenazidose größer, da die Kühe weniger Gras, aber weiterhin das ganze Kraftfutter fressen. Um das Verhältnis Raufutter zu Kraftfutter konstant zu halten, empfiehlt sich, das Kraftfutter in einer totalen Mischration (TMR) anzubieten. Das funktioniert aber nur bei der Stallfütterung und wenn die Mischration so zusammen gesetzt und gemischt wird, dass die Kuh das Kraftfutter nicht selektionieren kann. Die Rohfaser muss hochverdaulich sein. Ist die Rohfaser verholzt, dann stimuliert sie zwar das Kauen und die Pansenperistaltik, aber die Kuh kann die Fasern zu wenig verdauen.