Nevonex wirbt mit der herstellerunabhängigen Nutzung digitaler Dienste und dem digitalen Maschinenzugriff ohne Schnittstellenprobleme. (c) Werkbilder

Kommt ein Schub bei der Digitalisierung?

Landwirtschaft 4.0 aktuell: Es holpert bei der schnellen Digitalisierung der Landwirtschaft – wie kommen Landwirte über Schnittstellen-Stolpersteine hinweg auf die Daten-Autobahn?

Von Dirk Gieschen

Digitale Landwirtschaft: ist sie schon heute oder zumindest recht bald Realität? Das hoffen zwar alle Beteiligten aus dem Smart-Farming-Kosmos, tatsächlich sieht es in der Praxis oft aber anders aus. Sieht man genauer hin, findet man durchaus Intensivnutzer als Vorreiter – meist unter Großbetrieben und immer häufiger auch in Lohnunternehmen.

Betrachtet man wiederum das Investitionsverhalten dieser beiden Gruppen, dann wird schnell deutlich, dass die schnelle „Drehzahl“ dieser beiden unternehmerisch denkenden Gruppen von Betrieben schon in naher Zukunft einen wahren Digitalisierungsschub erwarten lässt – wenn die Landmaschinen- und Smart-Farming-Branche ihre eigenen Probleme löst. Von der Kundenseite rücken dabei zwei Gruppen ins Blickfeld:

1. Größere Lohnunternehmen setzen beim Wechsel ihrer Maschinen auf die neueste, top ausgestattete Technik. Einerseits, um die digitale Technik vom Lenksystem über Ertrags- und Applikationskarten bis zum Flottenmanagement tatsächlich zu nutzen und dabei den Kunden einen Mehrwert bieten zu können. Andererseits geht es bei gekauften ebenso wie bei gemieteten Maschinen auch darum, den Wiederverkaufswert zu sichern.

2. Größere landwirtschaftliche Betriebe sehen schneller den Nutzen digitaler Technik und der Vernetzung von Maschine und Betrieb – auch weil dort nicht nur der Betriebsleiter allein vor der digitalen Herausforderung steht, sondern zusätzlich mehrere jüngere, digital affine Familienangehörige oder Mitarbeiter aktiv sind.

Das Potenzial ist enorm: Schon heute bewirtschaften nur 38.160 der insgesamt 262.780 landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland (14,5 %) mit einer Betriebsgröße von mehr als 100 ha rund 62 % der Flächen. Vorreiter für einen schnellen Fortschritt bei der Digitalisierung werden dabei die 13.260 landwirtschaftlichen Betriebe mit mehr als 200 ha Fläche sein (Tabelle).

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Mehrere bremsende Faktoren

Wo steht die Landwirtschaft derzeit bei der Digitalisierung und wo ist noch Potenzial nach oben? Die Bestandsaufnahme zeigt aktuell ein durchwachsenes Bild. Die neuesten Befragungen aus 2021 und 2022 zeigen eins: Es hat sich in den letzten Jahren schon viel getan. Aktuell nutzen schon Betriebe, die 66 % der Fläche in Deutschland bewirtschaften, GPS-basierte Lenksysteme, der größte Teil mit Real-Time-Kinematik (RTK)-Korrektursignalen. Das zeigt eine im März 2022 vom HFFA-Institut Berlin und dem Industrieverband Agrar (IVA) durchgeführte Studie. Hierfür wurden rund 500 landwirtschaftliche Betriebe befragt.

Beim Thema Pflanzenschutz gibt es jedoch einen echten Schock: Laut der Studie sind schon viele digitale Maschinen im Einsatz – das Potenzial moderner Precision-Farming-Technik wird beim Pflanzenschutz aber offensichtlich oft noch nicht voll ausgenutzt. Die Ergebnisse der Befragung legen nahe, dass moderne Technik mit automatischer Teilbreiten- oder Einzeldüsenschaltung als technische Voraussetzung für eine Teilflächenapplikation im Osten bereits heute auf bis zu 80 % der Fläche vorhanden ist.

Im Westen liegt dieser Wert dagegen erst auf rund 40 % der Fläche. Laut IVA und HFFA zeigt die Studie aber, dass weniger als die Hälfte der Betriebe, die eine automatische Teilbreiten- oder Einzeldüsenschaltung nutzen, auch Applikationskarten verwenden. Dies legt nahe, dass die andere Hälfte der Betriebe, bei der eine solche Applikationstechnik vorhanden ist, sie nicht oder zumindest nicht optimal nutzt.

Woran hapert es vor allem?

Als technische Hindernisse für eine stärkere Verbreitung und Nutzung der digitalen Technik wurden in der Befragung neben fehlendem Know-how vor allem eine fehlende Internetabdeckung und ein unzureichender GPS-Empfang genannt. Hier besteht in vielen Regionen noch echter Handlungsbedarf.

Darüber hinaus werden unzureichende Schnittstellen für den Datenaustausch als Problem genannt. 48 % der befragten Betriebe nannten als wichtigen Anreiz für die Umstellung auf Spotapplikation den Anspruch auf nahtlose Datenübertragung zwischen digitalen Systemen.

Ein Sensor, zwei Anwendungen: Der Krone NIR Control dual, schon länger von Zunhammer für Gülle angeboten, kommt nun auch auf Häckslern zum Einsatz. (c) Werkbilder

Diskriminierungsfreie Zugänge

Das zeigt: Nur wenn das Schnittstellenproblem entschiedener angegangen wird, ist ein schnellerer Fortschritt bei der Digitalisierung der Landwirtschaft möglich. In diese Richtung argumentierte auch Dr. Micha Münzenmay, Geschäftsführer der Nevonex GmbH, auf der Digital Farming Conference 2022 der Bitkom.

Er forderte mehr Offenheit aller Anbieter: „Wir brauchen für die weitere Digitalisierung in der Landwirtschaft diskriminierungsfreie Daten- und Prozesszugänge für bunte Flotten.“ In der Tat: Auf den landwirtschaftlichen Betrieben und in den Lohnunternehmen finden sich in den seltensten Fällen einfarbige Maschinenparks von Schleppern, Anbaugeräten und Erntemaschinen. Das Nebeneinander verschiedener Marken ist in der Praxis der Standard.

Münzenmay ging mit seiner Forderung noch weiter: „Wir brauchen international offene Plattformen, damit wir auch kleine und mittlere Player so weit nach vorn bringen können, dass deren Digitalelemente mit den Maschinen verschmelzen können. Es kann nicht sein, dass eine kleine Digitalfirma, die vielleicht eine super-gute Idee hat, sich auf 30 oder mehr Digitalplattformen publishen muss. Es muss so sein, dass es dafür offene, neutrale Plattformen gibt, denen man vertrauen kann. Das ist wichtig, damit sich Innovationen immer auch international durchsetzen können.“

Diese Erkenntnis gilt natürlich nicht nur für Start-ups, sondern genauso für jeden kleineren und mittleren Landmaschinenhersteller, der seine Maschinen digitalisieren muss, um im Wettbewerb künftig weiter mithalten zu können.

Investitionskosten und Digitalkompetenz

Auch eine weitere Studie kommt zu ähnlichen Ergebnissen: Laut einer im Frühjahr 2022 von der Bitkom und der DLG durchgeführten Befragung landwirtschaftlicher Betriebe empfindet die große Mehrheit (83 %) die aus ihrer Sicht hohen Investitionskosten als Hemmnis, das die Digitalisierung der Landwirtschaft mit am stärksten bremst. 58 % bemängelten fehlende standardisierte Schnittstellen und 54 % eine unzureichende Internetversorgung.

Allerdings sehen auch 46 % die mangelnde Digitalkompetenz auf den Betrieben als Hemmnis. Den Beschäftigten haben die Befragten für ihre Digitalkompetenz im Durchschnitt die Schulnote 2,8 ausgestellt. „Nötig ist eine stärkere Förderung von Weiterbildungs- und Beratungsangeboten zur Digitalisierung landwirtschaftlicher Betriebe“, forderte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder bei der Vorstellung der Studie.

Insgesamt sehen laut dieser Studie jedoch mehr als drei Viertel der landwirtschaftlichen Betriebe (78 %) die Digitalisierung als Chance für sich – 2020 waren es 73 % und im Jahr 2016 lediglich 66 %. Und 14 % halten die Digitalisierung aktuell jedoch noch immer für ein Risiko.

Fazit

Deutschlands Landwirte sehen die Digitalisierung als Chance, jedoch auch hohe Investitionskosten und Bedenken bezüglich der Digitalfähigkeit der Mitarbeiter als Bremsen für schnellere Fortschritte. Genervt sind sie von Schnittstellenproblemen.

Wobei sich die Frage stellt, ob die Branche bei diesem Thema schon viel weiter sein könnte, wenn das Inseldenken mancher Akteure einer offenen Zusammenarbeit weichen würde. Das wäre klar im Interesse der Steigerung des Kundennutzens und der sollte ganz klar im Vordergrund stehen. Alle Beteiligten sollten den Sprung nach vorn wagen.