Biogas und Photovoltaik

Bürgerbeteiligung an Strom-Projekt: Wie alle gewinnen können

Die 2011 errichtete Biogasanlage wird mit Mais und anderen pflanzlichen Substraten gefüttert. Zwei Drittel ihrer Abwärme gehen ins eigene Wärmenetz, der Strom wird flexibel vermarktet. Bürgermeister Mathias Bölt (l.), Stadtwerke-Chef Sebastian Horn (r.) und Bert Stohm, Meister Energie und Wasser bei den Stadtwerken, sind sich einig, dass der geplante Energiepark viele Vorteile bringt. © Catrin Hahn

Die kleine Stadt Havelberg blickt auf über 1.000 Jahre Stadtgeschichte zurück. Bürgermeister Mathias Bölt, seit drei Jahren im Amt, will in Sachen Energieversorgung nun ein neues Kapitel aufschlagen.

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Manchmal braucht es nur einen letzten Anstoß, der viele Puzzleteilchen an ihren Platz fallen lässt. Daraufhin entsteht ein Bild, das aussieht, als wäre es schon immer dagewesen. In der Rückschau sagt man in einem solchen Fall gerne: „Das musste ja so kommen.“ Dass aber für einen solchen Moment eben genau dieser eine Anstoß, die passenden Puzzleteilchen und dann oft noch mühevolle Entwicklungsarbeit nötig waren, übersieht man leicht…

Das kleine sachsen-anhaltische Städtchen Havelberg steht jetzt vor genau diesem Augenblick: Die Puzzleteilchen liegen bereit, der Anstoß ist passiert, die mühevolle Entwicklungsarbeit hoffentlich bald zu Ende. Die Puzzleteilchen – das sind eine Stadt mit guten Voraussetzungen für erneuerbare Energien und viele willige Mitstreiter (und natürlich auch ein paar unwillige Gegner), mit Mut zur Veränderung und mit großen Ideen.

Der Havelberg mit der Havel im Vordergrund und mehreren Häusern am Hang.
Havelberg ist hübsch und hat 1.000 Jahre Geschichte. Aber es hat auch klamme Kassen, große Aufgaben und einige gesellschaftliche Probleme. © Catrin Hahn

Motiviert für die Energiewende

Der Anstoß kam von Mathias Bölt, parteiloser Bürgermeister der 6.500-Seelen-Stadt. Er ist vor drei Jahren mit mutigen Plänen ins Amt gestartet. Erneuerbare Energien fand er schon immer logisch: „Ich war als technikaffiner Elektroniker immer motiviert für die Energiewende. Schon als motorenverliebtes Kind habe ich mich gefragt, was wohl passiert, wenn das Öl mal alle ist.“ Auch das Thema Umwelt ist mit der Biografie des 39-Jährigen verwoben: Nach der Ausbildung zum Informationselektroniker für Geräte und Systemtechnik hat er zwölf Jahre in der Kampfmittelräumung gearbeitet, davon sechs Jahre auf See Stromtrassen von Offshorewindparks von altem Kriegsmaterial befreit.

Später bewarb er sich in seiner Heimatstadt Havelberg um das Bürgermeisteramt, wurde gewählt und bekam es direkt als Erstes mit der Energiemangellage nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs zu tun. Auch dafür brauchte es Ideen und Vorstellungskraft für ungewöhnliche Lösungen: „Ich kann mir heute alles vorstellen, nur nicht, dass wir weiter abhängig und erpressbar bleiben von längst überholten Technologien.“

Stadtversorgung bisher mit Photovoltaik und Biogas

Kurz nach Amtsantritt lernte Bölt dann den Chef „seiner“ Stadtwerke, Sebastian Horn, kennen. Die 1990 gegründete Stadtwerke Havelberg GmbH, 100%ige Tochter der Stadt, ist zuständig für die Versorgung von rund 15.000 Meschen mit Strom, Gas und Wärme. Das Unternehmen betreibt seit 2011 eine eigene Biogasanlage mit 2,8 MW Spitzenleistung und angeschlossenem Wärmenetz, das 1.800 Wohnungen und das örtliche Freibad mit Abwärme versorgt. Auch umliegende PV-Anlagen sind schon länger ins Versorgungssystem eingebunden und sorgten mit dafür, dass schon 2019 über 60 % des von den Stadtwerken gelieferten Stroms erneuerbar war. Bölt und der etwa gleichaltrige Horn hatten sofort einen Draht zueinander und waren sich einig: „Lass uns gemeinsam Erneuerbare Energien weiterentwickeln.“

Das Rathaus von Havelberg.
Im April erhielt Havelberg die von der Agentur für Erneuerbare Energien AEE ausgerufene Auszeichnung zur „Energiekommune des Monats“. © Catrin Hahn

Eine Fläche mit vielen Eigentümern

Vier Ziele treiben die beiden an: Sie möchten maximale Bürgerbeteiligung und zuverlässige Energie, Einnahmen für die Stadtkasse und die Zukunft der Stadtwerke sichern. Daraus entwickeln sie eine Vision: einen Energiepark mit so vielen Beteiligten wie nur möglich. Und zwar wortwörtlich: Bereits bei der Wahl der Fläche wurde darauf geachtet, Land mit möglichst vielen Besitzern zu finden. Sehr lange hat das nicht gedauert: Nördlich der Stadt fanden sich Ackerflächen mit der typischen Kleinbesitzerstruktur: gut 100 ha Land im Besitz von nicht weniger als 120 Eigentümern.

Das war ganz nach Bölts Geschmack: „Landwirte und kleine Landverpächter wollten wir mit im Boot haben, deren Mitwirkung war uns wichtig.“ Gemeinsam mit Stadtwald- und weiteren Grünlandflächen kamen um die 800 ha für einen künftigen Havelberger Energiepark zusammen. Es sollte ein Hybridpark aus Wind- und Solaranlagen werden, entwickelt mit dem erfahrenen Bremer Projektierungsunternehmen wpd für ursprünglich 450 Mio. € Investitionssumme. Speichertechnologie sollte mitgedacht und später verwirklicht werden.

Die Fläche für die Windkraftanalgen. Der Windpark soll zur Energiewende beitragen.
Der 100-ha-Schlag auf der Hochebene nördlich der Stadt soll das Herzstück des künftigen Havelberger Hybridparks werden. © Catrin Hahn

Akzeptanz steht im Vordergrund

„Wichtig für die Akzeptanz war“, erklärt der Bürgermeister, „wir haben ihn maximal verträglich gestaltet: Die Fläche ist rundum nicht einsehbar und der Abstand zum nächsten Gebäude sollte mindestens 1.000 Meter betragen“, betont Mathias Bölt.

Im August 2023 wurde diese Idee dann dem Stadtrat vorgestellt. Die Stadtvertreter waren zunächst schockiert von der großen Summe, verstanden aber die Idee und die Vorteile für die klamme Stadtkasse. Daher stimmten sie mit großer Mehrheit zu. Bölt und seine Mitstreiter konnten den Marsch durch die Instanzen beginnen. Hätten sie damals gewusst, wie viele Stolperfallen und Widerstände sie dabei erwarteten, vielleicht hätten sie es gelassen. Zum Glück wussten sie es nicht. Im Juli 2025 jedenfalls, als Mathias Bölt und Sebastian Horn an der Fläche stehen, wirken sie etwas desillusioniert und fast verwundert über die vielen Hürden. Aber immer noch fest entschlossen.

Der Marsch durch die Instanzen

Nach der Zustimmung des Stadtrates wurde zunächst eine Versammlung der Landbesitzer und -bewirtschafter einberufen, auch sie waren einverstanden mit den Entwicklungsplänen. Besonders deswegen, weil jeder Einzelne von ihnen finanziell profitieren sollte – und nicht nur diejenigen, auf deren Fläche dann zufällig das Windrad oder das Solarpanel stehen würden. Die auf dem teils sehr leichten Boden wirtschaftenden Landwirtschaftsbetriebe würden durch das zusätzliche Einkommen an Resilienz gewinnen.

Im Mai 2024 schließlich fand eine große Informationsveranstaltung für die Havelberger Bürger statt, auf der ihnen der Bürgermeister die Vorteile nahbrachte. Neben dem reduzierten Strompreis für Anwohner und Gewerbe sollten sie auch von einem Beteiligungsmodell, einer gut gefüllten Stadtkasse und leistungsfähigen Stadtwerken profitieren, die beispielsweise auch ein defizitäres Schwimmbad finanziell stemmen können.

Ein Schild der Stadt Havelberg mit dem Slogan Energie-Kommune.
Havelberg möchte durch das motivierte Projekt zur Energie-Kommune werden. © Catrin Hahn

Pläne für Energieversorgung gehen voran

Wahrscheinlich ist die Reaktion ein Spiegelbild der Gesellschaft. Mathias Bölt beschreibt sie so: „Unter den 6.500 Havelbergern haben wir einige engagierte Mitstreiter, viele stille Einverstandene und dann eben auch etwa 30 sehr laute, massive Gegner aus den unterschiedlichsten Spektren. Grundsätzlich bin ich überzeugt, dass Gegenwind normal und richtig ist, aber hier geht es nicht um Kompromisse, sondern um Verhinderung. Das macht eine Einigung unmöglich.“

Doch die Versuche zur Verhinderung halten ebenso wie die schneckenlangsamen Verwaltungsprozesse die Havelberger Energiepläne letztendlich nicht auf. Im November 2024 fasste die Stadt den Aufstellungsbeschluss zur Flächennutzungsplanung. Der Plan umfasste nun noch 25 Winräder im Besitz der Stadtwerke und Photovoltaikanlagen in Betreibermodellen. Die Gesamtinvestition beträgt etwa 350 Mio. €. Auf eine Fledermauspopulation im Wald sollte mit Abschaltmodellen Rücksicht genommen werden.

Wohin mit dem ganzen Strom?

Doch Bölts Pläne enden nicht bei der Fertigstellung der Anlagen, die 2030 ans Netz gehen sollen. Er weiß sehr wohl, dass in der Primärproduktion einer Ressource die wenigste Wertschöpfung steckt. Also denkt er weiter: „Wir suchen nach Ansiedlungen, die Strom brauchen, aber wenig Arbeitskräfte – die haben wir nämlich nicht. Ich könnte mir zum Beispiel ein Rechenzentrum vorstellen. Wir haben ohnehin eine kleine Gewerbefläche von 15 Hektar ausgewiesen, auf der passiert bislang nicht viel.“

Auch weitere Ideen sind in seinem Hinterkopf präsent: „Wir könnten mit dem Strom Wasserstoff herstellen, ihn mithilfe des Kohlendioxids aus der Prozesskette der Biogasanlage methanisieren und ins Gasnetz einspeisen. Oder wie wäre es denn, wenn wir mit dem Strom einfach unser Abwasser aus dem Klärwerk, anstatt es in die Vorfluter einzuleiten, für unsere Region nutzen, es den Landwirten anbieten oder für den Waldumbau nutzen?“

Hilfsangebot für den ostelbischen Raum

Bölt denkt in alle Richtungen und viel schneller, als es das Entwicklungstempo und die vielen regulatorischen Vorgaben hergeben. Mehr als einmal fällt im Gespräch der Satz: „Ich komme halt aus der freien Wirtschaft“, mit dem er seinen Ansatz beschreibt, nach kreativen, schnellen Lösungen zu suchen. Ein Satz, den man leider von Vordenkern viel öfter hört als aus Amtsstuben.

Doch Bölt und Horn sind entschlossen, ihren Weg weiterzugehen. Mehr noch, sie wollen anderen dabei helfen, das Gleiche zu tun, erklärt Sebastian Horn: „Unser Modell soll expandieren. Wir bieten Kommunen im gesamten ostelbischen Raum Hilfe und Zusammenarbeit an.“ Am Ende unseres Gespräches stehen Bürgermeister Bölt und Stadtwerke-Chef Horn am eingangs beschriebenen, von einem Waldgürtel umgebenen 100-ha-Schlag auf der Hochebene nördlich der Stadt.

Das Herzstück des künftigen Havelberger Hybridparks. Im Jahr 2030 werden hier hoffentlich PV-Anlagen und Windräder Energie erzeugen und dazu einladen, weitere Nutzungskonzepte um sie herum zu entwickeln. Dann werden Mathias Bölt und Sebastian Horn wieder hier stehen und sich an die anstrengende, letztlich aber lohnende Zeit erinnern, als sie versuchten, alle Puzzleteilchen an die richtige Stelle zu bringen.

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