Positionspapier: Mehr Unkraut wagen

Unkraut im Bestand muss nicht zwingend bekämpft werden. Die Schad- und Bekämpfungsschwelle sollte mitentscheiden. © Sabine Rübensaat

„Mut zu mehr Unkraut“ fordert ein Fachbeirat des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. In seinem Positionspapier stehen die Unterzeichner für einen Perspektivwechsel bei der Unkrautbekämpfung im Ackerbau.

Von David Benzin

Einen Acker mit einer breiten Restverunkrautung nach der Herbizidausbringung sieht wohl kein Landwirt gern. Was aber, wenn einige Unkräuter nicht versehentlich, sondern gewollt weiter auf dem Acker neben der Hauptkultur stehen?

Für den Fachbeirat „Nachhaltiger Pflanzenbau“, der sich aus Vertretern von Landes- und Bundesbehörden (u. a. Dr. Stephan Goltermann vom Landesamt für Landwirtschaft und Lebensmttelsicherheit Mecklenburg-Vorpommern, LALLF M-V, und Dr. Jens Zimmer vom Landesamt für Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flurneuordnung Brandenburg, LELF, zusammensetzt) muss eine Restverunkrautung kein Problem sein.

Unkraut-Flora stark rückläufig

Das geht aus dem Positionspapier des Beirats vom 9. Oktober hervor. Die Grundlage: Auf insgesamt mehr als 2.000 ha Fläche von 200 Äckern wurde ein Blick auf die sogenannte Segetalflora (also Ackerunkrautflora) geworfen. Die Untersuchungen haben ergeben, dass die Artenvielfalt der Unkräuter in den vergangenen Jahrzehnten um etwa zwei Drittel zurückgegangen ist.

Eine Vergleichsstudie zwischen konventioneller und ökologischer Bewirtschaftung wies für Letztere das Drei- bis Neunfache an typischen Unkrautarten auf dem Acker aus. Zudem betrug der Bedeckungsgrad auf konventionellen Äckern nur 6 %, auf ökologischen waren es 28 %.

Wie viel Ertrag kostet Unkraut?

Wie hoch der Ertragsverlust bei mehr Unkrautbesatz wirklich ist, lässt sich laut Positionspapier nicht pauschal sagen. Konkurrenzversuche haben jedoch gezeigt, in welchen Dimensionen Ertragsverlust und Unkrautbesatz miteinander in Beziehung stehen.

In einem Versuch wurde die potenzielle Ertragsminderung ohne Unkrautbekämpfung in Weizen (23 %), Mais (40 %) und Kartoffeln (30 %) beziffert. Tatsächlich lagen diese im Versuch aber lediglich bei rund 8 % in Weizen, 11 % in Mais und 8 % in Kartoffeln.

Sehr wichtig bei der Einschätzung des Ertragsverlustes durch Unkrautkonkurrenz sei demnach die Konkurrenzkraft der Kulturpflanze und die Besatzdichte der Unkrautflora sowie Witterung und N-Düngung. Langzeitversuche von 1990 bis 2017 haben ergeben, dass in verschiedenen Ackerbaukulturen Ertragsverluste von im Schnitt 30–40 % auftraten. Bei Sommerkulturen war es mit 8 % viel weniger, beim Mais dafür mit bis zu 100 % eine gegenteilige Dimension.

Wie das bei mechanischer Unkrautbekämpfung aussähe, ging aus dem Langzeitversuch jedoch nicht hervor. Dort wurde immer mit der unbehandelten Kontrolle verglichen. Ökonomisch sind solche Ertragsrückgänge meist nicht tragbar. Wie verhält es sich aber bei einer Restverunkrautung?

„Das Positionspapier ist im Fachbeirat ‚Nachhaltiger Pflanzenbau‘ erarbeitet und diskutiert worden, bevor es in seinem jetzigen Wortlaut auf der BVL-Website veröffentlicht wurde. Ich bin Mitglied des Fachbeirats und ­stehe hinter jedem Satz, der dort aufgeschrieben steht.“

STEPHAN GOLTERMANN (LALLF M-V) ZUM POSITIONSPAPIER „MEHR VERUNKRAUTUNG WAGEN“

Bekämpfung Pauschal oder nach Schwelle?

Eine Bekämpfungsschwellenorientierte Unkrautbekämpfung nach guter fachlicher Praxis könnte Abhilfe schaffen, ist jedoch laut dem Positionspapier mit einigen Hemmnissen verbunden. Vor allem die Sorge um das Samenpotenzial und die Feldhygiene sprechen für eine standardmäßige Bekämpfung. Hinzu kommen vergleichweise günstige Kosten bei der Ausbringung.

Rechne man zu den direkten Kosten des chemischen Pflanzenschutzes aber noch die externen Kosten (z. B. gesellschatliche Aspekte) hinzu, würde sich ein Mitteleinsatz nach dem Bekämpfungsschwellenprinzip zum Teil nicht mehr lohnen, geht es aus dem Positionspapier hervor. Auch die Verlängerung der Wirkungsdauer von Herbiziden durch den Schadschwellen-betonten Einsatz sollte dabei Beachtung finden. Auch neuartige Systeme zur Entscheidungshilfe könnten ein praktikabeleres Monitoring und zielgerichteten Mittteleinsatz unterstützen.

Ist etwas unkraut eigentlich okay?

Jein. Prinzipiell koste eine Restverunkrautung – vor allem mit bestimmten Arten – wahrscheinlich weniger Ertrag, als allgemein angenommen wird. Bei anderen Arten wiederum, die in größere Konkurrenzkraft zur Kulturpflanze treten, kann der Ertragsverlust aber bedeutender sein. Eine klare Studienlage gibt es dazu bisher nicht.

So sind die Wissenschaftler Storkey und Neve der Meinung, dass eine Restverunkrautung bei einer breiten Unkrautflora weniger problematisch für die Kulturpflanze ist, als eine Restverunkrautung mit nur einer oder sehr wenigen Arten. Diese haben dann einen ähnlich hohen Wasserverbrauch und können in großen Besatzdichten enorme Konkurrenzkraft haben.

Klassische Herbizidstrategien gehen von einem komplett „sauberen“ Acker von der Saat bis zur Ernte („start clean, stay clean“) als Grundlage für einen erfolgreichen Marktfruchtbau aus. Ein neuer Ansatz für moderne Bekämpfungstrategien wäre jedoch, nur bestimmte (besonders konkurrenzstarke) Unkräuter zu bekämpfen und andere eventuell auf dem Acker zu belassen. Dafür sei jedoch ein generelles Umdenken nötig.

Bei der aktuellen Zulassungsprozedur werde vor allem auf eine sehr breite und hohe Wirksamkeit des Herbizids Wert gelegt. Würde diese Anforderung gelockert, so könnten mehr Mittel zugelassen werden, die dann gezielter auf den jeweiligen Unkrautdruck angepasst eingesetzt werden könnten. Das wäre eine Chance für selektiv wirksame Herbizide.

Nachhaltigkeit durch Vielfalt – aber wie?

Ansätze dafür wurden im Positionspapier ebenso diskutiert. Diese sind beispielsweise:

  • Auf der Grundlage der Ergebnisse der Überwachung muss der berufliche Verwender entscheiden, ob und wann er Pflanzenschutzmaßnahmen anwenden will.
  • Die Verwendung von Herbiziden und andere Bekämpfungsmethoden sollten auf das notwendige Maß begrenzt werden.
  • Schwellenwerte sind wesentliche Komponenten der Entscheidungsfindung.
  • Die eingesetzten Herbizide müssen soweit zielartenspezifisch wie möglich sein.
  • Nachhaltigen biologischen, physikalischen und anderen nicht-chemischen Methoden ist der Vorzug vor chemischen Methoden zu geben, wenn diese Methoden den gestellten Anforderungen an eine selektive Bekämpfung genügen und praktikabel sind.

Doch, um einmal konkret zu werden, was heißt das in der Praxis? Für positive Impulse setzt der Fachbeirat des BVL auf detaillierte Informationen zu Bekämpfungsschwellen und ist für ein stärkeres Anknüpfen an die Schwellenwerte bei der Applikationsentscheidung; Entscheidungshilfesysteme, in die digitale Anwendungen integriert werden; Teilflächenbehandlungen für bestimmte Unkrautarten; eine Anpassung der Aufwandmengen; weniger Wirkstoffkombinationen in Pflanzenschutzmitteln und eine stärkere Berücksichtigung mechanischer Bekämpfungsmaßnahmen bei der Mittelzulassung.

Für den Beirat „Nachhaltiger Pflanzenbau“ ist klar: Die Landwirtschaft sollte mehr Unkräuter wagen.