Moderator Matthias Lech (r. u.) hatte fünf Vermarktungsexperten aus Wissenschaft und Praxis zur Online-Diskussion eingeladen. Screenshot (c) Josefin Lehmann

Wertschöpfung und Direktvermarktung: Der Tretmühle entkommen

Premiumprodukte über kurze Wertschöpfungsketten mittels effektiven Marketings an den Mann beziehungsweise die zu Frau bringen, war Thema des fünften Praxis-Talks von Farm & Food.

Von Klaus Meyer

Der Großteil der Landwirte produziert Commodity-Produkte, also an Börsen gehandelte, standardisierte und homogene Erzeugnisse. Spiller erklärt: „Damit sind die Landwirte in einer Tretmühle gefangen. Sie sind im Hamsterrad und wenn Einzelne besser werden, schneller laufen, dann müssen die anderen auch schneller laufen. Das heißt, Produktivitätsfortschritte werden im Prinzip eingepreist.“ Deshalb verdiene etwa ein Drittel der Landwirte gutes Geld, ein Drittel komme klar und ein Drittel habe Probleme. In diesem Kostenmarkt gehen die Preise laut Spiller eher zurück. Hinzu komme, dass lange Zeit die Handelsmarken der Discounter unsere Ernährungskultur geprägt haben. Zum Glück tue sich da etwas in der Gesellschaft.

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Praxis-Talk #05: Wenn, dann richtig einsteigen

Wer aus der Commodity-Falle raus wolle, brauche andere Ansätze wie die Direktvermarktung. Doch warum liegt dessen Anteil bisher nur bei 1 %? Ungünstig gelegene Betriebe und Hofläden haben nicht so viel Kundenzulauf und hohe Logistikkosten. Viele Landwirte würden unterschätzen, dass man Geld für Marketing in die Hand nehmen müsse. Die Hälfte mache fast kein Marketing, bei den anderen sei häufig das Marketingbudget von unter einem Prozent viel zu gering. Als Beispiel für das andere Extrem nannte er das Start-up Hello Fresh (Kochboxen für zu Hause). Es habe in den ersten Jahren über 40 % seines Umsatzes ins Marketing gesteckt. Viele Start-ups würden es ähnlich machen.

Die regulatorischen Anforderungen hinsichtlich Hygiene, Steuern und Zertifizierung seien ebenfalls eine Hürde. Direktvermarktung brauche eine neue Zielgruppe, weg vom Seniorenmarketing hin zu den jungen Kunden, damit auch die Produkte nicht veralten. Das setze neue Technik voraus, eben Internet an jeder Milchkanne. Für wichtig hält Spiller die kooperative Zusammenarbeit in der Direktvermarktung. Die Direktvermarktung müsse auch nicht konsequent direkt sein. Es gebe den Trend zu kurzen Wertschöpfungs-ketten (Short food chains). Da könne ruhig mal einer dazwischen sein, zum Beispiel eine Plattform, die das Ganze bündele, die das vielleicht auch besser könne als man selbst. In diesen Bereichen tue sich aktuell viel.

Dr. Achim Spiller
(c) privat

Prof. Dr. Achim Spiller

Als Professor für „Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte“ an der Georg-August-Universität Göttingen liegen seine Forschungsschwerpunkte auf Konsumentenverhalten, Nachhaltigkeitsmanagement, Animal Welfare und Supply Chain Management im Agribusiness. Er ist seit Dezember 2020 Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des BMEL für „Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbrauchschutz“. Er wurde er in die Zukunftskommission Landwirtschaft berufen.
www.uni-goettingen.de

Als weiteres Stichwort für erfolgreiche Direktvermarktung nannte Spiller large scale direct farming. Damit ist eine Vermarktung in großen Einheiten gemeint. Als gutes Beispiel nannte er Karls Erdbeerhof, von dem man die Verkaufsstände in Norddeutschland überall sieht. Andere Länder wie Österreich oder die Schweiz zeigen, dass auch mehr als 1 % des Umsatzes beim Verbraucher über Direktvermarktung ankommen kann.

Zertifizierte eier im supermarkt gelistet

Friederike Schierholz ist in die mobile Haltung von Legehennen in kurzer Zeit relativ groß eingestiegen. Zusammen mit ihrem Mann hat sie damit 2016 angefangen. Heute vermarktet sie die Eier von 4.500 Legehennen unter der Marke Schierholzer Wiesenei hauptsächlich über regionale Supermärkte. Eine große Hürde war die dafür notwendige Zertifizierung. Schierholz erklärte: „Der bürokratische Aufwand einer solchen Zertifizierung ist enorm, den haben wir massiv unterschätzt und wo man wirklich viel lernen und üben muss, ist das Thema Vermarktung.“

Obwohl die Ab-Hof-Eier umliegender Betriebe etwa für 2,40 Euro die 10er-Packung zu bekommen sind, liegen die Schierholzer Wieseneier für den doppelten Preis im Supermarktregal. Die Landwirtin begründet: „Da die Hühner einen attraktiven Auslauf haben, produzieren wir ein Premiumprodukt, dass, auch entsprechend vermarktet werden muss. Dazu gehört ein professionelles Design, damit es auch aussieht wie ein Premiumprodukt. Dieser Mehraufwand und die zusätzliche Arbeitszeit für die aufwendigere Haltung müssen entsprechend vergütetet werden, da wir Unternehmer sind und Geld verdienen müssen.“ Außerdem wollten die Landwirte den Preis der Eier nicht nachträglich erhöhen und haben ihn gleich etwas höher angesetzt, da die Verbraucher sensibel hinsichtlich nachträglicher Preiserhöhungen seien.

Auf die Frage, was beim Einstieg in die Direktvermarktung wichtig sei, antwortete Schierholz: „Man braucht ein geiles Produkt. Wir haben mit Eiern angefangen. Im Gegensatz zu Milch kommen die fertig verpackt vom Huhn und sind vier Wochen haltbar. Wichtig ist, ein Alleinstellungsmerkmal zu haben und daraufhin eine professionelle Vermarktungsstrategie aufzubauen.“

Frederike Schierholz
(c) privat

Friederike Schierholz

Die Berufsschullehrerin für Landwirtschaft in Sulingen hat einen Master in Agrarwissenschaften. Seit 2016 betreibt sie mit ihrem Ehemann Legehennenhaltung in mobilen Hühnerställen auf dem elterlichen Hof in Eydelstedt. Für ihre Eier hat sie erfolgreich die Marke „Schierholzer Wiesenei“ etabliert und vertreibt diese in Direktvermarktung. Im Jahr 2020 übernahm sie den Hof der Eltern. Dort probiert sie auch neue Anbaumodelle wie Direktsaat.
www.schierholzerwiesenei.de

Ist das projekt skalierbar?

Dr. Matthias Nachtmann hat im Pilotprojekt Lerchenbrot im Ackerbau ein Wertschöpfungsnetzwerk mit Biodiversitätseffekt aufgebaut, bei dem die Beteiligten, auch die Landwirte profitieren und das skalierbar ist. Das heißt, es funktioniert nicht nur mit 40 ha, sondern sicherlich auch mit 40.000 ha. Im Projekt Lerchenbrot haben Landwirte letztes Jahr mindestens zwei Feldlerchenfenster je Hektar auf ihrem Weizenacker angelegt. Der so gewonnene Weizen wird in einer lokalen Mühle zu Mehl verarbeitet und von einer regionalen Bäckereikette zu Lerchenbrot verbacken.

Dieses wird mit einem Aufpreis von 10 Cent pro 750-g-Brot verkauft, mit dem Landwirte für ihren Aufwand und Ertragsausfall und der Bäcker für den zusätzlichen Aufwand entschädigt werden. Nachtmann erklärte, dass es auch für BASF als großen Konzern eine Herausforderung war, trotz großer Marketingerfahrung im Pflanzenschutzbereich eine emotionale Story von einem Brot zu erzählen. Zur Preisgestaltung erläuterte er: „Es ist wichtig, ein gutes Verständnis für die Produktionskapazitäten und deren Bedeutung für die Erzeugungskosten zu haben.“ Wer solche Vermarktungsprojekte plant, sollte sich folgende Fragen stellen:


  • Wer ist mein Kunde?
  • Wie ist der Vermarktungsweg?
  • Welche Kapazitäten sind vorhanden?

Beim Entwickeln neuer Wertschöpfungsnetzwerke oder Marken ist man laut Nachtmann nicht nur auf Produkte beschränkt: „Es gibt heutzutage ganze Täler, die nur von einem oder zwei Landwirten bewirtschaftet werden. Die oder der könnten sich nicht nur auf Weizen oder Eier konzentrieren, sondern die Region oder Landschaft als Alleinstellungsmerkmal hervorheben.“

Dr. Matthias Nachtmann
(c) privat

Dr. Matthias Nachtmann

Der Wirtschaftswissenschaftler kam 2004 zur BASF und ist dort Digital Farming Data Business Development Lead. In dieser Position beschäftigt er sich neben dem Bereich Digitalisierung auch mit neuen Wertschöpfungsnetzwerken: Ein solches baut er derzeit mit dem Pilotprojekt Lerchenbrot auf. Hier sollen hochproduktive Landwirtschaft, der Schutz der Artenvielfalt, regionale Lebensmittelproduktion und faire Preise in einer Balance zueinanderstehen.
www.lerchenbrot.de

Nachtmann glaubt, „dass wir in den nächsten fünf Jahren viel mehr Veränderungen bei den Themen Direktvermarktung, Geschäftsmodelle oder Esskultur sehen werden als in den letzten 25 bis 30 Jahren, weil es Innovationen in unterschiedlichsten Bereichen gibt, zum Beispiel in der Züchtung, bei den Anbaupraktiken oder bei Geschäftsmodellen.“

Direktvermarktung: Vom Apfelsaft zum KistenKrämer

Christoph Mayer weiß, wie die Direktvermarktung funktioniert. Unter dem Markennamen Wildfrucht verkauft er erfolgreich sortenreinen Apfelsaft von 600 alten Streuobstbäumen als alkoholfreie Begleitung an die Spitzengastronomie in Österreich. Die Kunden zahlen für den Apfelsaft 8 €/l. Mayer erklärt: „Das zahlen sie wegen der Geschichte dahinter. Da geht es um ein gutes Gewissen, um bewusste Ernährung, um die Freude an etwas Besonderem. Wenn sie nur einen Apfelsaft würden kaufen wollen, dann würden sie das billigste Produkt im Supermarkt kaufen. Die Konsumenten kaufen Geschichten und wir als Direktvermarkter müssen Geschichten erzählen, die beim Empfänger etwas auslösen.“

Als gutes Beispiel nannte er den Premiumdiesel an der Tankstelle, bei dem 30 % der Kunden bereit sind, 20 % mehr zu bezahlen, weil es dem Auto laut Werbung damit besser gehen soll. Das sei absurd, denn gleichzeitig würden viele nicht darüber nachdenken, welche Eier sie essen oder welche Milch sie trinken. Als Alternative zur direkten Vermarktung von regionalen landwirtschaftlichen Produkten oder über den Supermarkt bietet sich sein Selbstvermarkter-Selbstbedienkonzept an. In Österreich hat er letztes Jahr das Franchisesystem KastlGreissler eingeführt. Weil es so gut lief, soll es dieses Jahr unter dem Namen KistenKrämer nach Deutschland kommen.

Selbstbedienungscontainer

Der Grund für den Erfolg ist die Zunahme an Gemeinden ohne Nahversorger. In solchen Gemeinden werden Selbstbedienungscontainer mit etwa 13 m2 Fläche aufgestellt. Darin werden rund 500 unterschiedliche Produkte für den kompletten Einkauf angeboten. Natürlich von einem Produkt nur eine Sorte. Mindestens 50 % der angebotenen Waren sollen direkt aus der Region kommen. Das wird von den Franchise-Nehmern gefordert. Mit steigender Bekanntheit wächst laut Mayer der regionale Anteil und damit die Profitabilität dieser Shops. Ein weiterer Erfolgsfaktor sind die geringen Personalkosten, denn die Container kommen ohne Kassierer aus. Somit rechnet sich das System auch an umsatzschwächeren Standorten. Mayer erklärt: „Ein personalbetriebener Lebensmittelhandel benötigt pro Standort im Jahr einen Umsatz von rund 500.000 Euro. Unser System kommt mit 72.000 Euro aus.“

Christoph Mayer
(c) privat

Christoph Mayer

Der begeisterte Landwirt und Berater aus Österreich arbeitete in der Automobilzulieferindustrie sowie bei The Boston Consulting Group, bevor er vor zehn Jahren selbst Unternehmer wurde. Neben seiner Unternehmensentwicklung mit Fokus auf Nachhaltigkeit ist der KastlGreissler sein neustes Projekt. Das Franchiseunternehmen soll die Nahversorgung auf dem Land verbessern. In Containern mit Selbstbedienungsshops auf 13 m² wird ein Vollsortiment an Produkten angeboten.
www.wildfrucht.at; www.kastlgreissler.com

Dadurch, dass die Wertschöpfungskette sehr kurz ist, können konkurrenzfähige Preise zum Supermarkt angeboten werden. Der Aufschlag auf den Preis des liefernden Landwirts, die Handelsmarge ist laut Mayer mit etwa 30 % sehr gering. „Bei dieser Art der Vermarktung funktionieren auch die Geschichten hinter den Produkten, denn der Kunde kennt meistens den Landwirt in der Region“, erklärt Mayer und ergänzt: Wir wollen Produzenten und Konsumenten vernetzen und gleichzeitig das Dorf wiederbeleben.

Mayer betonte in Bezug auf die Vermarktung von regionalen Produkten: „Es ist in unserer Verantwortung als Landwirte, mehr Menschen dazu zu bringen, darüber nachzudenken, was sie essen und woher dieses Essen kommt. Ich kann jedem dringend empfehlen, bei jedem Gasthausbesuch zu fragen, woher kommt das Fleisch oder das Gemüse? Es ist völlig wurscht, was er antwortet. Aber wenn niemand diese Fragen stellt, warum soll ein Gastronom sich dann Gedanken darüber machen, von wo er seine Produkte bezieht?

Praxis-Talk #05: Produkte, von denen alle proftieren

Landwirte und Verbraucher zusammenbringen möchte ebenfalls Dr. Sebastian Fritsch mit seinem Start-up Age of Plants, das vor einem Jahr gegründet wurde. „Auf Dauer und in der Fläche die Landwirtschaft in Deutschland ökologischer machen“, ist das Ziel und er erläutert: „Unser Ansporn waren unter anderem die Landwirte, die öffentlich dafür kämpfen, fair behandelt zu werden, faire Preise und auch eine gewisse Wertschätzung zu erhalten, die sie auch verdient haben. Auf der anderen Seite haben wir teilweise Verbraucher, die denken, dass die Landwirtschaft schlecht für die Umwelt ist. Wie kann man beide Seiten zusammenführen? Unserer Meinung nach braucht es eine neue undogmatische Form der Landwirtschaft zwischen bio und konventionell.“

Dr. Sebastian Fritsch
(c) privat

Dr. Sebastian Fritsch

Nach seinem Studium der Geografie und Promotion an der Universität Würzburg im Bereich geografische Fernerkundung und Modellierung von Ernteerträgen mittels Satellitenbilddaten gründete Fritsch die greenspin GmbH für Datenanalysen und Software im Smart-Farming-Bereich. Bis 2020 war er dort Co-Geschäftsführer, bis er im April 2020 die Age of Plants GmbH gründete. Er möchte Landwirte und Verbraucher zusammenbringen, die gemeinsame Ziele verfolgen.
www.ageofplants.de

Gleichzeitig steht bei Age of Plants die kurze Wertschöpfungskette im Vordergrund. Deshalb will man mit Produkten anfangen, die direkt vom Landwirt über die Plattform zum Verbraucher gelangen können. Das sind zum Beispiel trockene, haltbare Waren wie Kicher- oder Platterbsen und andere Feldfrüchte. Dafür sucht das Unternehmen Landwirte, die bereit sind, neue Kulturen, neue Anbaupraktiken auszuprobieren, die besonders gut für die Umwelt sind, also vielfältige Fruchtfolgen, Dauerbegrünung, Stickstoff bindende Kulturen und so weiter.


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