Praxis-Talk #04 mit den Gästen in der Galerieansicht © Farm & Food 4.0

Grüne Produktion, rotes Konto?

Wie die Landwirtschaft trotz vieler offener Fragen nachhaltig und zugleich profitabel sein kann, bestimmte die Diskussion bei unserem vierten Praxis-Talk über Zukunftsthemen.

Von Ralf Stephan

Die „Zukunft der Landwirtschaft: profitabel, nachhaltig, lebenswert – Visionen aus der Praxis“ war das Thema des vierten Praxis-Talks. Der neuesten Folge der monatlichen Online-Gesprächsrunde von Bauernzeitung, Farm & Food und Landakademie folgten am Donnerstag voriger Woche wieder fast 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Im Mittelpunkt der zweistündigen Diskussion stand dieses Mal die Frage, wie die Landwirtschaft ihr enormes Potenzial einsetzen kann, um bei der Lösung der Probleme unserer Zeit zu helfen. Wie in dieser Runde gewohnt ging der Blick nach vorn, weg vom Status quo: Wo kann es hingehen?

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Praxis-Talk #04: Suche nach Perspektiven

Was manchem vielleicht sehr theoretisch erscheint, wird gleich ganz praxisnah – etwa, als Jana Gäbert von den natürlichen Bedingungen in ihrem Betrieb, der brandenburgischen Agrargenossenschaft Trebbin, berichtet: 23er-Böden, 500 mm Jahresniederschlag. Michel Allmrodt, der zweite Haupterwerbslandwirt in der Runde, schürzte kurz die Lippen. Das kommt mir bekannt vor, mag der Hofnachfolger eines Familienbetriebes im Norden Sachsen-Anhalts in diesem Moment gedacht haben. „Sandige, humusarme Böden und ausgeprägte Frühjahrstrockenheit – die Altmark ist so etwas wie Klein-Brandenburg“, sagt er später. Beide Unternehmen, der 4.000 ha große genossenschaftliche Mischbetrieb wie der auf knapp 500 ha Ackerbau betreibende Mehrgenerationenhof, suchen nach Perspektiven in einer derzeit vielen ungewiss erscheinenden Zukunft.

„Im Grunde tun auch wir das, wovon Frau Gäbert berichtet hat: Den Boden aufzubauen, für Humus zu sorgen und Bodenleben reinzubringen, um die Erträge zu stabilisieren, hat auf der einen Seite höchste Priorität. Auf der anderen Seite suchen wir nach neuen Standbeinen, wollen uns in Richtung Legehennenhaltung und Ökolandbau mit Direktvermarktung entwickeln.“

Die südlich von Berlin in märkischer Heide und auf märkischem Sand wirtschaftende Agrargenossenschaft experimentiert schon seit Jahren mit wissenschaftlicher Begleitung, wie sich unter den nicht optimalen Bedingungen ein stabiles System aufbauen lässt.

Keine Frage der Größe oder Anbauweise

„Wir versuchen, die Produktion von Lebensmitteln und Futter so zu gestalten, dass sie auch die Biodiversität fördert. Beides soll sich nicht gegenseitig beeinträchtigen, sondern ein Miteinander sein“, sagt Gäbert, die sich in Trebbin um Strategiefragen kümmert. „Wir haben schon viele Änderungen in der Agrarpolitik mitgemacht, aber meistens standen ökonomische Aspekte im Vordergrund. Dabei ist Nachhaltigkeit eine Einheit von Ökonomie, Ökologie und Sozialem“, so Gäbert. „Und eigentlich hakt es bei jedem in mindestens einem der Teilbereiche.“ In Trebbin habe man aber inzwischen gemerkt, dass alle drei Bereiche sich gegenseitig verstärkten und Synergien brächten. „Mitarbeiter, die zufrieden und ausgeglichen sind, bringen in Spitzenzeiten auch bessere Leistungen“, nennt Gäbert ein Beispiel. Der Dreiklang funktioniere unabhängig von der Betriebsgröße und davon, ob es ein konventioneller oder ökologisch wirtschaftender Betrieb ist.

Jakob Brand

Jakob Brand

Jakob Brand Der Niederländer kommt vom Hof und absolvierte eine landwirtschaftliche Ausbildung, bevor er für die Rabobank zu arbeiten begann. Die Genossenschaftsbank mit Sitz in Utrecht ist einer der weltweit führenden Finanzierer im Agrar- und Lebensmittelsektor und einer der größten Finanzdienstleister der Niederlande. Brand unterstützt Bankkollegen vor Ort bei Investitionsvorhaben von Rabobankkunden aus dem Agrarbereich. Deutschland ist eines seiner Haupteinsatzgebiete.
www.rabobank.de

„Ich bin überzeugt, das dies eine übergeordnete Zielstellung ist“, meint Jana Gäbert beim Praxis-Talk. „Deshalb wird es in der Zukunft nicht darum gehen, ob wir nach Produktionsweise A oder B arbeiten, sondern darum, mit welchen Modulen wir klimafreundliche Milch oder biodiversitätsfördernde Milch erzeugen können.“

Die Art und Weise, wie ein Produkt hergestellt wird, ist anders als früher ein wichtiger Erfolgsfaktor. Und das wird noch weiter an Bedeutung gewinnen, gibt Jakob Brand sowohl Jana Gäbert als auch Michel Allmrodt recht. „Der landwirtschaftliche Unternehmer wird immer mehr zum Anbieter seltener Dienstleistungen, die von der Gesellschaftern nachgefragt werden“, ist sich der Agrarexperte der Rabobank sicher. Das führende Finanzierungsinstitut in der Agrar- und Ernährungsbranche hat für sich zwölf Nachhaltigkeitsthemen identifiziert – darunter Tierwohl, Wassermanagement und Energieeffizienz, aber auch soziale Aspekte wie das Engagement des Betriebes für soziale Projekte in seinem Umfeld.

Michel Allmrodt

Michel Allmrodt

Der Landwirt aus der Altmark (Sachsen-Anhalt) ist als Agrarblogger und Infl uencer unter dem Namen „Michel Deere“ aktiv. Auf dem Videokanal YouTube zeigt er seinen über 90.000 Followern regelmäßig, wie die Arbeit eines Landwirts wirklich aussieht. Als Hofnachfolger in dritter Generation verschiebt sich sein Fokus dabei immer mehr von großen Maschinen zu den Perspektiven der Landwirtschaft in der Region und auf die Kommunikation mit dem Verbraucher.

Nachhaltigkeit bringt Punkte bei der Bank

Die Bank arbeitet daran, Daten zu erheben, zum Beispiel zum mineralischen Zustand des Bodens oder zu den CO2-Emissionen pro Kilogramm Milch. „Wir wollen uns so ein ganzheitliches, objektives Bild des Betriebes schaffen. Unseren ersten Erfahrungen zufolge tragen Kunden mit einem hohen Nachhaltigkeitsstreben ein niedrigeres Risiko“, berichtet der niederländische Banker im Praxis-Talk. Die Kreditwürdigkeit eines Unternehmens könnte somit künftig anhand dieses neuen „E-Ratings“ ermittelt werden. „In den Ländern, in denen wir in der Agrarfinanzierung tätig sind, testen wir das System derzeit“, sagt Brand.

Jana Gäbert

Jana Gäbert

Ihr Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin schloss Gäbert mit einem Bachelor in Agrarwissenschaften und dem Master in Pflanzenbauwissenschaften ab. Außerdem studierte sie Nutztierwissenschaften. Seit 2010 ist sie in der Praxis tätig, davon vier Jahre verantwortlich in der Fleischrinderhaltung. Ihren Schwerpunkt in der Agrargenossenschaft Trebbin sieht sie in zukunftsgerichteten Konzepten, strategischen Fragen und der Biodiversitätsförderung.
www.agt-eg.de

Die Frage, ob die Landwirtschaft eine Agrarwende braucht, beantwortet der Unternehmer Michael Horsch beim Praxis-Talk sehr eindeutig: „Wir sind mittendrin in der Agrarwende. Und das nicht nur, weil die Gesellschaft oder der Lebensmittelhandel sie will, sondern weil sie sich in der Landwirtschaft selbst längst vollzieht. Wir spüren doch schon lange, dass wir einen Auftrag aus den 1950er-Jahren erfüllen, wenn wir Nahrungsmittel auf Teufel komm raus produzieren. Und wir spüren genauso, dass dadurch Dinge passieren, die so nicht in mehr Ordnung sind.“

Den neuen politischen Auftrag sieht Horsch im Green Deal, dem klimapolitischen Strategiepapier der EU-Kommission. „Bei allen Risiken, die damit zusammenhängen und über die wir noch reden müssen, ist eines sicher: Es hat noch nie so viele Chancen für die Landwirtschaft gegeben wie heute.“ Horsch verwies zudem auf seine Erfahrungen in stark auf den Agrarexport orientierten Ländern: „Australische und brasilianische Farmer hören sehr genau hin, was ihre Abnehmer wollen und stellen sich in atemberaubender Geschwindigkeit darauf ein.“

Andree George Girg

Andree-Georg Girg

Als Geschäftsführer der BASF Digital Farming GmbH ist er verantwortlich für das Portfoliomanagement und die globale Kommerzialisierung von xarvio Digital Farming Solutions, dessen Vizepräsident Girg zugleich ist. Er arbeitet seit mehr als 20 Jahren in der internationalen Agrarwirtschaft und kennt somit auch die Landwirtschaft in anderen Teilen der Welt. Als passionierter Landwirt war er drei Jahre als Farm-Manager im südlichen Afrika tätig.

Den Bogen zum globalen Klimaschutz schlägt Prof. Peter Breunig. „Es ist nicht allein entscheidend. was wir auf unserer Fläche tun, sondern welche Folgen das auch anderswo hat.“ Wer hier extensiviere, provoziere dort schlimmstenfalls einen höheren Flächenbedarf. Breunig plädiert deshalb dafür, in der Zukunft nicht mehr nach Öko oder konventionell zu fragen, sondern das zu tun, was die höchste globale Effizienz hat. „Es kann durchaus sein, dass wir höhere Erträge ökologisch rechtfertigen können, weil wir hocheffiziente Technologien einsetzen.“ Grundsätzlich erwartet der Wissenschaftler aber, „dass wir in Deutschland insgesamt auch Ertrag hergeben müssen, um nachhaltig zu sein“.

Irgendwo zwischen Bio und konventionell

Breunig regt beim Praxis-Talk an, nach Verfahren „zwischen Öko und konventionell“ zu suchen. Ein grundsätzliches Problem, das schon bei den beiden Landwirten eine Rolle spielte, sieht aber auch er: „Das alles geht nicht auf, wenn die Verfahren zwar grün sind, aber das Bankkonto rot wird.“ Mit Blühstreifen und Agroforst könne man eben bislang kein Geld verdienen, mechanische Unkrautbekämpfung sei teurer als chemischer Pflanzenschutz, und extensive Düngung werde so viel Ertrag kosten, dass es sich betriebswirtschaftlich negativ auswirkt.

Michael Horsch

Michael Horsch

Der Landwirt, Erfinder und Landtechnikunternehmer blickt auf eine erfolgreiche Karriere zurück. 1981 bringt der Autodidakt seine erste Eigenentwicklung, eine Foliensämaschine, auf den Markt. 1984 gründet er die Horsch Maschinen GmbH. Heute ist das mittelständische Unternehmen im bayerischen Schwandorf mit seinen innovativen Maschinen zur Bodenbearbeitung und zum Pflanzenschutz sowie mit Getreide- und Einzelkornsähtechnik weltweit aktiv.
www.horsch.com

Nach Breunigs Ansicht könnte ein Ausweg neben staatlichen Stützungen im privatwirtschaftlichen Ansatz bestehen: Hohe Nachhaltigkeitsstandards ließen sich in Markenprodukte überführen und damit kennzeichnen. Hier werde es vor allem darum gehen, Erzeuger und Verbraucher zusammenzubringen, wie es viele Startup-Unternehmen bereits versuchten. Einen anderen Weg sieht er in effizienteren Verfahren und in Züchtungsfortschritten.

Für Andree-Georg Girg von der BASF-Tochter xarvio spielt dabei die Nutzung von Daten eine entscheidende Rolle. 30 Jahre nach Einführung des N-Sensors sind kamerabasierte Systeme, die Unkraut oder Pflanzenkrankheiten erkennen, keine Utopie mehr. Aus seiner Sicht wandelt sich die Anwendung vom Ziel der reinen Ertragssteigerung hin zu höherer Nachhaltigkeit. Aber auch Girg weiß: „Ob sich eine Technologie durchsetzt, hängt vor allem davon ab, was sie betriebswirtschaftlich bringt.“ Digitalisierung bedeute zudem nicht zuerst Landtechnik. Digitalisierung bedeute auch, den Empfehlungen aus der Datenanalyse genauso zu vertrauen wie dem Rat des Pflanzenbauberaters, der vorher das Feld abgeschritten und die Pflanzen in Augenschein genommen hat.

Peter Breunig

Prof. Dr. Peter Breunig

Der Professor für Marketing und Marktlehre an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf führt parallel zu seiner Lehrtätigkeit in den Studiengängen Agrartechnik, Landwirtschaft, Lebensmittel- und Agrarmanagement den elterlichen Hof. Internationale Erfahrungen bringt Breunig aus seiner Zeit beim Landtechnikhersteller John Deere mit: Als Regionalmanager war er u. a. für Marketing und Vertrieb in Kasachstan und Aserbaidschan verantwortlich.

Fazit der Diskussion, an der sich Zuschauer intensiv per Chat beteiligten: Es gibt gute Gründe, durchaus mit Optimismus in die Zukunft zu blicken. Warum? „Weil es“, wie Michael Horsch zusammenfasste, „ein bisschen mehr Chancen als Risiken gibt“.


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