Übergriffe auf seine Tiere musste Schafhalter Martin Just in diesem Jahr schon einige Male hinnehmen. (c) Martin Just

Streit um Wolfsrisse: Fachstelle unter Beschuss

Die Rissbegutachtung der Fachstelle Wolf in Sachsen ist in die Kritik geraten. Schäfer monieren, dass für den Abstand zwischen Zäunen und möglichen Einsprunghilfen oder für den Abschluss zum Boden strittige Werte angesetzt würden.

Von Karsten Bär

Beim Workshop Herdenschafhaltung kürzlich in Thiendorf wurde es unversehens hitzig. Manfred Wölfl, Leiter der Fachstelle Wolf des Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG), gab einen Überblick zur aktuellen Situation rund um Wolf und Herdenschutz – und sah sich alsbald mit heftiger Kritik an der Rissbegutachtung konfrontiert.

Ein Schäfer aus der Lausitz warf der Fachstelle vor, Kriterien für den Mindestschutz von Schafen anzulegen, die den rechtlichen Vorgaben nicht entsprechen. Schnell geriet die ganze Praxis der Begutachtung unter Beschuss. Sätze wie „Wir haben den Eindruck, Ihre Behörde arbeitet gegen uns!“ musste sich der Fachstellenleiter von den Schafhaltern anhören.

Ärger um Statistik: Schutz häufig bemängelt

Fakt ist: Der Anteil der erfassten Rissvorfälle, bei denen laut Begutachtung der Mindestschutz nicht eingehalten wurde, war 2023 noch deutlich geringer als im laufenden Jahr bis 31. August – weiter reichte die aktuelle Rissstatistik bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe (28. Oktober) nicht. Bei Rissen, die dem Wolf zugeordnet werden konnten, galt 2023 bei 37 % der Fälle der Mindestschutz als nicht erfüllt, im Jahr 2024 dagegen bei 54 %.

Für den Jäger und Kritiker des sächsischen Wolfsmanagements Friedrich Noltenius, der in der Lausitz lebt und die Webseite wolfszone.de betreibt, ist das kein Zufall. Bei der Veranstaltung in Thiendorf sagte er, dies sei Folge der aus seiner Sicht falschen Auslegung der betreffenden Verwaltungsvorschrift.

Auch der Schafhalter Martin Just sieht das so. Vorwurf der beiden: Die Fachstelle lege Krite­rien an, die nicht in der Verordnung stehen. So werde ein Abstand zwischen Boden und Zaunabstand von höchstens 20 cm für Elektronetzzäune gefordert – während in der aktuellen, im Juni vorigen Jahres neu veröffentlichten „Verwaltungsvorschrift zum Ausgleich von durch Wolf, Luchs oder Bär verursachten Schäden (VWV Große Beutegreifer VwVGB)“ bei Netzzäunen lediglich ein „bodennaher“ Abstand vermerkt ist.

Zäune: Eine Frage es Abstands

Wölfl indes argumentierte, dass die 20 cm Abstand vorgeben seien und man gerichtsfest arbeiten müsse. Da man wisse, dass der Abstand aufgrund unebenen Geländes variieren kann, räume man eine Kulanz von 5 cm ein – aber nicht mehr. Ob die Verwaltungsvorschrift andere Aussagen zum Bodenabstand von Elektronetzzäunen treffe, konnte und wollte der Fachstellenleiter in Thiendorf nicht aus dem Stegreif beantworten, sagte jedoch zu, beim Sächsischen Schaftag am 7. November in Siebenlehn erneut Stellung zu beziehen.

Dass sich Wölfl in seiner Argumentation jedoch zunächst auf die nicht mehr gültige Verwaltungsvorschrift Wolf von 2019 berief, bestärkte seine Kritiker in der Meinung, dass sich die aktuell praktizierte Rissbegutachtung nicht auf der geltenden Rechtsgrundlage bewege.

Eine Nachfrage der Bauernzeitung im Umwelt- und Landwirtschaftsministerium ergibt: Auch für Elektronetzzäune gelte die Vorgabe, dass wie bei Litzenzäunen der Abstand des untersten stromführenden Leiters zum Boden nicht größer als 20 cm sein dürfe. Da in einem Elektronetz die unterste stromführende Litze meist schon 10 cm über dem bodennahen Abschluss geführt werde, habe man diesen Sachverhalt nicht dezidiert im Verordnungstext festgehalten.

Landnutzer aus der Lausitz haben Zweifel

Ob indes der Abstand zwischen Zaun und Boden aktuell überhaupt eine große Rolle spielt, wird von vielen Landnutzern in der Lausitz arg bezweifelt. Dass sich einzelne Rudel das Springen angewöhnt haben, weiß man auch in der Fachstelle Wolf. Die allgegenwärtigen Wildzäune zur Eindämmung der Afrikanischen Schweinepest (ASP) hätten einen Trainingseffekt zur Folge gehabt, sagte Manfred Wölfl – die Wölfe hätten das Springen schlichtweg lernen müssen.

Wölfe springen über den Zaun

Mindestens mit einem Rudel, das Zäune springend zu überwinden versteht, hat auch Martin Just zu tun. Er hält rund 300 Schafe im Raum zwischen Hoyerswerda und Kamenz. Schon etliche Male habe er in diesem und vorangegangenen Jahren den Wolf in der Herde gehabt. In dem Fall, dass eine Herde innerhalb von zwei Wochen angegriffen wurde und der Wolf dabei auch mit Flatterband erhöhte Zäune überwindet, besteht die Möglichkeit der Entnahme.

Doch bei der Aufnahme des Vorgangs seien die Rissbegutachter so lange mit dem Zollstock um die Weide gegangen, bis sie eine Stelle gefunden hätten, an der das Flatterband unter der vorgeschriebenen Höhe von 120 cm gespannt war, erzählt der Schafhalter. Beim nächsten Mal habe die Entnahme nicht erlaubt werden können, weil in dieser Zeit die Welpen noch zu jung waren, um ein Alttier zu schießen.

Fachstelle Wolf: Genaue Angaben im Flyer

Auch für den Fall springender Wölfe hält die Verwaltungsvorschrift Vorgaben bereit – die jedoch aus Sicht von Schäfern nicht zu ihren Gunsten ausgelegt werden. So wird ein „genügender Abstand“ zwischen Weidezaun und angrenzenden höheren Ebenen wie beispielsweise Böschungen verlangt. Wie weit „genügend“ ist, lässt die Verordnung offen. Die Fachstelle Wolf legt 2,5 m an und hat diese Konkretisierung durch den Flyer „Umgang mit Einsprunghilfen an Zäunen“ im November vorigen Jahres veröffentlicht.

Die Frage, ob die Veröffentlichung verbindlicher Angaben in einem Flyer rechtssicher ist, beantwortet das Umweltministerium mit der Aussage, dass der konkrete Abstand von der Fachstelle Wolf „in der gegenwärtigen Verwaltungspraxis der Rissbegutachtung“ angewandt werde und somit den Standard setze.

Seitens der Schäfer besteht man hingegen darauf, dass aus ihrer Sicht alleine die aktuell veröffentlichte Fassung der Verwaltungsvorschrift von 2023 mit ihrer Anlage 1 zum Herdenschutz Geltung habe. Eigenmächtige Auslegungen der Fachstelle Wolf, hieß es, werde man nicht akzeptieren und notfalls dagegen auch vorgehen.

Fördersätze nach unten korrigiert

Die im Sommer vorigen Jahres veröffentlichte „Verwaltungsvorschrift zum Ausgleich von durch Wolf, Luchs oder Bär verursachten Schäden“ nimmt auch Anpassungen des Schadensausgleichs vor. Kosten für Tierarzt und Nachsuche werden statt zu 100 % nur noch zu 80 % ausgeglichen. Hintergrund sei, dass die Europäische Union die Rahmenregelung für staatliche Beihilfen im Agrar- und Forstsektor und in ländlichen Gebieten geändert hat, heißt es aus dem sächsischen Umwelt- und Agrarministerium. Demnach dürfe der Ausgleich für indirekte Kosten maximal 80 % betragen. Die Höhe dieser Schäden schwankte in den vergangenen Jahren zwischen mehreren Hundert und mehreren Tausend Euro. Bis Ende September wurden dieses Jahr für 16 Fälle Gesamtausgaben von 2.912 € für Tierarztkosten und für 14 Fälle von 6.610 € für Nachsuche gemeldet.

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Wolf reißt Stück Fleisch aus größerem Stück.
Im südlichen Brandenburg ist es wieder zu einer Wolfsattacke auf einen Hund gekommen. (Symbolbild) (c) Sabine Rübensaat

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