Der Brandenburger Küchenmeister und Kochbuchautor Torsten Kleinschmidt in Aktion. (c) Torsten Kleinschmidt

Heimatküche: Rezepte für ländlichen Genuss

Was mundet von der Ostsee bis zum Fichtelberg? Und was bedeutet eigentlich Regionalität in der Küche? Darüber haben wir mit dem Brandenburger Küchenmeister Torsten Kleinschmidt gesprochen. Sein Buch „Die besten Rezepte aus Brandenburg“ macht Appetit.

Von Bärbel Arlt

Was hat Sie bewogen, ein Buch über die Küche Brandenburgs zu schreiben?
Da prallen zwei Leidenschaften aufeinander – die zu Büchern, die für mich von Kindheit an schon immer etwas Besonderes waren, und die zum Kochen. Und was liegt da also für einen Koch näher, als Bücher zu schreiben. Zum anderen wird die Brandenburger Küche oft unterschätzt. Dabei ist sie so vielfältig.

Was genau heißt das?
Sie ist eine „Schmelztiegel-Küche“ mitten in Europa, ein „Kuddelmuddel der Kulturen“ – mit jahrhundertealten Wurzeln. Viele Völker haben ihre Spuren hinterlassen und viele Zuwanderer fanden hier eine neue Heimat. Ich denke zum Beispiel an die Hugenotten und die Flamen. Sie brachten ihre Lebensweise und auch ihre Esskultur mit. All das macht die Küche so besonders. Auf der anderen Seite ist sie vielfältig wie das Land selbst. Jede Region hat ihre Eigenheiten. So wird der Norden kulinarisch von der pommerschen Küche geprägt, der Süden von der sächsischen und böhmischen. Und auch heute ist Brandenburg Zuzugsgebiet und jeder bringt sich ein – auch kulinarisch.

Grenzübergreifendes Kochen: Brandenburg präsentierte sich bei einem „Picknick an der Oder“ in Stettin. Für die Gäste haben deutsche und polnische Azubis und Ausbilder gemeinsam gekocht.

Wie sind Sie an die Rezepte gekommen? Haben Sie den Brandenburgern in die heimischen Kochtöpfe geschaut?
Ja, ich höre zu, frage nach, schreibe auf, koche nach und habe als Koch natürlich etliche Lehr- und Wanderjahre hinter mir, die mich kulinarisch geprägt haben – wobei das Bodenständige schon immer auf dem Speiseplan ganz oben steht. Vor allem als Sprecher der Brandenburger Landgasthöfe bin ich in alle Regionen des Landes gekommen, habe in viele Kochtöpfe geschaut, viele Spezialitäten und fast vergessene Lebensmittel und Rezepte kennengelernt.

Ihr Buch besteht aber nicht nur aus Rezepten. Eine genussvolle Zutat sind Geschichten, warum?
Kochen heißt auch, Geschichten erzählen. Ob alte Bräuche und Handwerksberufe, Kunst oder Kultur – sie bringen Würze und Geschmack mit auf den Teller. Und auch die Landschaft spielt für den Genuss eine große Rolle.

Inwiefern?
Wir alle kennen es doch aus dem Urlaub, wenn wir ein Essen am Strand, beim Sonnenuntergang oder auf dem Weinberg genießen. Zuhause schmeckt das mit den gleichen Zutaten anders. Ähnliches passiert auch vor der Haustür. So schmeckt der Fisch mit Blick auf die Oder garantiert besser als im Berliner Hochhaus. Und zudem prägen viele heimische Produkte die Landschaft wie Spargel, Erdbeeren, Wild, Fisch, Kartoffeln, Gurken, Meerrettich.

Woher kommt Ihre Leidenschaft fürs Kochen?
Kochen verbindet Kreativität mit Handwerk und bietet täglich neue Herausforderungen. Der Beruf ist breitgefächert wie kaum ein anderer, man kann sich ausprobieren und das weltweit. Denn gekocht wird überall. Außerdem gibt es ein breites Spektrum von der Kantine über den Imbiss bis hin zum Gourmetrestaurant. Es gibt also viele Möglichkeiten, sich zu entfalten. Und nicht zuletzt ist mein Opa, der übrigens in der Berliner „Letzten Instanz“ gearbeitet hat, nicht ganz unschuldig. Er hat mich für den Beruf begeistert – und für die Mohnpielen.

Fischexperte Wolfgang Schalow (r.) – hier bei einem Lagerfeuerkochen an der Oder – stand Torsten Kleinschmidt (l.) beratend für die Fischrezepte im Kochbuch zur Seite.

Was bitte ist das?
Ein Gericht, das aus Schlesien übergeschwappt ist, und er aus seiner Kindheit kennt. Sie wurden, so hat Opa erzählt, vor allem Weihnachten und Silvester gegessen. Zutaten sind Blaumohn, Milch, Rosinen, altbackene Brötchen, Zitronen, Zucker, Mandeln. Sie sind also sehr gehaltvoll. Ich reiche sie heute gern als Fingerfood. Streiche die Masse auf Plinsen, die dann zusammengerollt, geschnitten und auf kleinen Spießen serviert werden. Auch aus Soßen und Eintöpfen kann man die Fülle herausnehmen, ohne auf traditionellen Genuss verzichten zu müssen. Und warum nicht mal Brandenburger Küche mit der Leichtigkeit der allseits beliebten italienischen verbinden? Der Kreativität sind beim Kochen keine Grenzen gesetzt.

Es ist heute viel die Rede von Regionalität. Ist sie nur ein Trend oder sehen Sie eine langfristige Entwicklung?
Sie ist, da bin ich überzeugt, ein Dauerbrenner. Ob als Kind, als Lehrling im Kabelwerk Oberspree oder jetzt bei der Produktentwicklung im Studentenwerk Frankfurt (Oder) – regionale Küche hat mich immer begleitet und ich habe von jedem Küchenmeister viel gelernt. Regionalität heißt für mich Nähe, und Nähe schafft Vertrauen, und Vertrauen schafft Genuss. Denn wenn ich weiß, woher die Zutaten sind, wo und wie sie gewachsen sind, welches Herzblut drinsteckt, umso mehr festigt das die Liebe, genussvoll und regional essen zu wollen, und das, was in der Heimat wächst, wertzuschätzen.


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Kann man Heimat schmecken und was bedeutet sie Ihnen?
Heimat ist da, wo ich mich wohlfühle. Und wir als Köche tragen dafür mit Regionalität, Nachhaltigkeit und Qualität auf dem Teller eine große Verantwortung. Ich habe Heimat in einem meiner Bücher mal so formuliert: Für den einen ist sie der Ort, an dem er aufgewachsen ist, für andere vielmehr ein Gefühl, eine ferne, wunderbare Kindheitserinnerung, die den Körper auch nach vielen Jahren noch wohlig durchströmt, der herrliche Duft von Großmutters Apfelkuchen, der das ganze Haus erfüllt, die Erinnerung an große, leuchtende Kinderaugen am Heiligen Abend; fröhliche Familienausflüge, Großvaters Gute-Nacht-Geschichte oder Mutters liebevoll tröstende Worte.

Auch, wenn Heimat für jeden Menschen etwas anderes bedeutet, sicher ist: Das Gefühl von Heimat schenkt uns Kraft für die bitteren und süßen Überraschungen, die das Leben für uns bereithält. Sie ist der sichere Hafen, in den wir zeitlebens immer wieder gerne zurückkehren – ob greifbar als Ort oder einfach nur in unseren Gedanken.

An welchem Projekt arbeiten Sie derzeit mit welchem Ziel?
Seit Anfang des Jahres arbeite ich im Studentenwerk Frankfurt (Oder) und entwickle mit vielen engagierten Kollegen und Partnern in Berlin und Brandenburg ein Speiseplankonzept für die Standorte des Studentenwerks, in denen täglich Tausende Studierende versorgt werden. Auch da geht es um Regionalität, Nachhaltigkeit, biologische Produkte und vor allem um Ganztierverwertung. Das ist für mich eine neue spannende Herausforderung.

Corona hinterlässt vor allem in der Gastronomie Spuren. Was hat diese Zeit mit Ihnen gemacht?
Sie ist ja noch nicht vorbei. Doch bisher hat sie mich in meiner Überzeugung bestätigt, dass es wichtig ist, sich für die Wertschätzung guter Lebensmittel einzusetzen. Da haben wir Deutschen noch einen großen Nachholbedarf. Fürs Auto wird zum Beispiel das beste Öl gekauft, aber im Supermarkt zum billigsten Olivenöl gegriffen. Außerdem geht es beim Essen um die persönliche Gesundheit und da hat jeder Verantwortung für sich selbst. Und ich hoffe natürlich, dass viele Betriebe den Existenzkampf nicht verlieren. Auch da können Verbraucher ein Stück weit mithelfen. Wie schon gesagt, das Fischgericht mit Blick auf die Oder schmeckt anders als zu Hause.

Ernähren Sie sich gesund?
Ja, täglich – mit regionalem Superfood wie Leinöl, Sanddorn, Aronia, wenig, aber gutem Fleisch, viel Gemüse. Wir backen unser Brot selbst, kochen immer mit frischen Zutaten.

Kartoffeln mit Quark und Leinöl – eines von Torsten Kleinschmidts Lieblingsgerichten.

Was essen Sie am liebsten?
Als Kind habe ich mir meist Königsberger Klopse mit Kartoffelstampf gewünscht. Heute könnte ich jeden Tag, Kartoffeln, Quark und Leinöl essen. Übrigens ist Leinöl typisch für Brandenburg. Es gibt inzwischen viele kleine Manufakturen, die es herstellen. Ich empfehle jedem, mal eine Leinöl-Verkostung zu machen. Leinöl ist etwas ganz Wunderbares.

Sie gehören auch zur Brandenburger Kochfamilie …
… ja, und das auch sehr gern. Denn damit haben wir eine Plattform geschaffen, wo wir uns ganz zwanglos treffen und austauschen. Übrigens nicht nur wir Köche, sondern alle, denen gutes Essen am Herzen liegt – vom Weinbauern bis zum Konditor.

Rainald Grebe hat mal gesungen: Nimm dir Essen mit, wir fahren nach Brandenburg. Das ist also Vergangenheit?
Vor vielen Jahren mag er recht gehabt haben, und wenn man unglücklich unterwegs ist, kann einem das auch heute noch passieren. Doch es gibt inzwischen ein so großes regionales Netz vieler, vor allem auch junger Erzeuger und Gastronomen mit Qualitätsprodukten. Und auch das macht die Küche Brandenburgs aus. Vor zehn, fünfzehn Jahren wagte ich zu behaupten, jedes Brandenburger Produkt, und jeden guten Gasthof zu kennen, das wage ich heute nicht mehr.