(c) Sabine Rübensaat

Schweinetag: Markt trägt Mehrkosten nicht

Mit einer zukunftsfähigen Schweinehaltung in Deutschland beschäftigte sich der Mitteldeutsche Schweinetag. Es ging um die Vereinbarkeit von Gesellschaft, Politik und Tierhaltung. Aus der Wissenschaft gab es Praxistipps. 

Von Bettina Karl

War es ein Zufall, dass diese Veranstaltung ausgerechnet nahe Halle stattfand? Der Stadt, in der einst ein Glitzerschwein für Furore sorgte? Der Sage nach soll sich ein Schwein in einer Wasserlache gesuhlt haben, in der sich Salzkristalle befanden. Die vielen Moleküle in seinem Fell glitzerten in der Sonne, als es anschließend durch die Straßen wetzte. So sollen die ersten Salzquellen entdeckt worden sein – die der Stadt Halle zu späterem Wohlstand verhalfen.


Wohlstand? Für Schweinehalter gibt es so viele Auflagen, die mit enormem Mehraufwand und hohen Zusatzkosten verbunden sind, dass sich momentan die Frage stellt: Wie sieht überhaupt eine zukunftsfähige Schweinehaltung aus? Damit beschäftigte sich der Mitteldeutsche Schweinetag.

Wir brauchen jeden Schweinehalter!

Nach Aussagen von Peter Ritschel produziert Deutschland zwar ein Fünftel des Schweinefleisches in Europa. „2018 hatten wir in Deutschland 1,8 Mio. Zuchtsauen. Im Vergleich sind das 2,8 % weniger als 2010“, erklärte der Mitarbeiter des Thüringer Landesamtes für Landwirtschaft und ländlichen Raum (TLLLR).

Der Trend sei unverkennbar. Es hören immer mehr Sauenhalter auf. „Doch die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher wird die Mehrkosten der Schweinehalter, die durch Tierwohlmaßnahmen entstehen, nicht ausgleichen“, stellte er fest und begründete seine Aussage auch mit einer Studie des globalen Mess- und Datenanalyse-Unternehmens Nielsen. Demnach achten 65 % der Verbraucher auf Sonderangebote. Nur ein Viertel sei bereit, mehr für Lebensmittel zu bezahlen. Er appellierte an das Fachpublikum: „Wir brauchen jeden einzelnen von Ihnen, jeden Ferkelerzeuger und Mäster!“

Tierwohlgerechte Aufzucht kostet mehr. (c) Sabine Rübensaat

Dr. Ingo Zopf, Abteilungsleiter aus dem Thüringer Landwirtschaftsministerium (TMLL), versuchte, den Schweinehaltern Hoffnung nach der kürzlich verkündeten Schließung des Schlachthofes in Altenburg zu machen: „Wir haben darüber nachgedacht, wie wir wieder regionale Schlachtstätten in Thüringen schaffen können.“ Beschlossen sei aber offensichtlich noch nichts.

Bezüglich des Verbots der betäubungslosen Ferkelkastration ab 2021 sei immer noch vollkommen unklar, welches Verfahren sich durchsetze. Impfung mit Improvac oder die Betäubung mit Isofluran – alles sei möglich. Er befürchte, dass die Beihilfen dazu nicht ausreichen werden und verwies auf eine Studie der Universität Halle zur Bereitschaft, mehr für Fleischprodukte zu bezahlen.

Darin wird festgestellt, dass die Verbraucher das eine sagen, aber das andere machen. Viele richteten ihre Erwartungen an die Politik. In diesem Zusammenhang zitierte er Prof. Folkhard Isermeyer vom Thünen-Institut: „Der Markt wird es überhaupt nicht richten, das kann nur die Politik.“

Julia Klöckner, Bundeslandwirtschaftsministerin, erklärte in ihrer Videobotschaft auf dem Mitteldeutschen Schweinetag: „Wenn wir wollen, dass Schweine im Außenbereich gehalten werden, dann müssen Fragen des Emissionschutzes und des Baurechts gelöst werden. Mit Horst Seehofer, dem Bundesinnenminister, habe ich mich geeinigt, dass das Baugesetzbuch geändert und es möglich sein wird, Ställe umzubauen, ohne dass sie ihren Bestandsschutz verlieren.“

Dr. Simone Müller (TLLLR), die den ersten Teil der Veranstaltung moderierte, stellte fest, dass beim Haltungskompass des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) deutlich mehr als die Hälfte der Betriebe noch in der Haltungsform  1 eingestuft sind, was dem gesetzlichen Mindeststandard entspreche. In diesem Zusammenhang forderte auch sie, dass es für die gewünschten Veränderungen in der Nutztierhaltung politische Rahmenbedingungen brauche.

Soja, INSEKTENBURGEN und Fleisch aus Zellkulturen?

Dr. Bernhard Polten vom Bundeslandwirtschaftsministerium stellte sich der Diskussion. Neben ihm: Simone Müller, eine Moderatorin der Veranstaltung. (c) Bettina Karl

Ein „Extremisieren“ mit immer höheren Forderungen kritisierte Dr. Bernhard Polten, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), an. „Die Krux dabei ist, dass es Tier- und Naturschutzverbände gibt, die nicht miteinander reden. Aber die Politik muss alles miteinander verbinden. Nach der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) werden die Menschen zukünftig weniger Fleisch essen oder dafür einen Fleischersatz. Als Beispiele
nannte er:

  • Fleisch pflanzlichen Ursprungs wie aus Soja,
  • Nahrungsmittel aus Insekten. Hier befürchtet Polten allerdings Probleme mit der Hygiene, da Abfälle als Futter für die Insekten verwendet werden sollen.
  • Zellkulturen von tierischen Stammzellen – damit hätte man keine Tierwohlprobleme mehr.

Viele junge Leute denken so. Sie sind der Meinung, sie können auch anders essen. Hinzu kommt der demographische Wandel. Der Anteil der über 60-Jährigen wird steigen. Aber diese Bevölkerungsschicht nimmt weniger Protein zu sich. Polten gab zu bedenken, dass die Tierschutzdiskussion nur in Europa geführt werde.
Diese Debatten gebe es auf dem Weltmarkt nicht.

Er wies darauf hin, dass Tierwohlkompetenzzentren geschaffen werden, die man im Dezember vorstellen werde. Gleichzeitig bat er das Publikum, das zu einem großen Teil aus Schweinehaltern bestand, Kritik aufzugreifen, aber auch konstruktive Vorschläge zu machen. „Gute Vorschläge müssen wir rechtzeitig in die Diskussion einbringen.“

Hat die Schweinebranche etwas verpennt?

„Vor zehn Jahren hieß es: weg von den Bedientheken, weil die Leute alle schnell einkaufen wollten. Heute richten wir Bedientheken wieder ein, denn die Verbraucher wollen Face-to-Face-Kontakt“, erklärte Dr. Clemens Dirschel, Kaufland, in seinem Vortrag zu Fragen der Verbraucher und den Antworten des Lebensmitteleinzelhandels. Das heißt, es gibt also nicht nur in der Landwirtschaft einen Wandel, stellte er fest. Der Markt für Geflügelfleisch wächst, die Nachfrage nach Schweinefleisch ist dagegen rückläufig, auch bei Kaufland.

Da muss man sich fragen, ob die Schweinefleischbranche etwas verpennt hat? Denn Schweinefleisch ist ein Kulturgut. Als Beispiele nannte Dirschel traditionelle Thüringer Bratwürste und Schweinbäckchen.

Es gebe ein Spannungsfeld zwischen Genuss und Gesundheit, und einen Wertewandel hin zur Individualisierung. Es gehe darum, neue Bedürfnisse der Bevölkerung aufzugreifen. Dabei ist eins wichtig: die Lebensqualität. Der Trend geht zudem hin zu einem mulitoptionalen Verbraucherverhalten. Das heißt, alles ist möglich: Montags beim Discounter einkaufen, dienstags auf dem Bauernmarkt, mittwochs ein Fertigprodukt und donnerstags was Frisches vom Biohof. Das bedeutet, es gibt nicht mehr den typischen Kauflandkunden.

Die Ansprüche an das Fleisch wachsen, wachsen und wachsen. Dabei gibt es viele Zielkonflikte zu beachten wie guter Geschmack, der aber nur durch einen gewissen Fettanteil erreicht werden könne, erklärte der Einzelhandelsexperte und beschrieb das Qualitätsfleischprogramm Kaufland Schwein. Dazu gehören:

  • mehr Tierwohl, beispielsweise mehr Bewegungsfreiheit, Stroh zur Beschäftigung und Wühlmaterial, Frischluft mit Offenfrontställen oder Auslauf,
  • GVO-freie Fütterung nach VLOG (Verband Lebensmittel ohne Gentechnik),
  • partnerschaftliche Lieferverhältnisse: Verträge zwischen ein und zwei Jahren, persönlicher Kontakt, beispielsweise Hofbesuche, Newsletter und Beratung,
  • Boni für den Landwirt für den Mehraufwand: Tierwohl zwölf Euro pro Schwein und für GVO-freie Fütterung nach VLOG acht Euro pro Schwein.
(c) Bettina Karl (Repro)

Was kostet Tierwohl wirklich?, fragte Dr. Jürgen Müller (TLLLR) und nannte als Beispiel die Mehrkosten dafür in der Ferkelproduktion. Es seien nicht nur die zusätzlichen Investitionen für die neuen Haltungsformen. Die Ferkel nehmen unter diesen Bedingungen (mehr Bewegung) weniger zu. Es gibt also auch noch weitere finanzielle Abzüge. In der Stufe 3 des staatlichen Tierwohlkennzeichens wird die Säugephase von 28 auf 35 Tage verlängert. Das bedeutet, der Sauenhalter braucht auch mehr Platz (die Ferkel wachsen). Entweder wird die Zahl der Sauen im Laufe der Zeit reduziert, oder der Stall baulich ergänzt.

Zu den Festkosten für den gesetzlichen Mindeststandard in der Haltung von 16,96 € pro erzeugtem Ferkel und Jahr (gerechnet mit 29 Ferkel pro Sau bei 8 kg: 491,94 € pro Tierplatz und Jahr in Abhängigkeit von der Auslastung) kommen in Stufe 1 des staatlichen Tierwohlkennzeichens 2,42 €, in der Stufe zwei 4,85 € und in der Stufe drei 9,69 € pro erzeugtes Ferkel an Kosten dazu. Mehraufwendungen gebe es auch, wenn Raufutter in die Gülle gelangt.

Mehr Tierwohlaspekte im Stallbau

„Wir brauchen endlich ein Gesetz, mit dem wir Planungssicherheit haben“, eröffnete Bernhard Feller, Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, seinen Vortrag. Es müsse mehr getan werden, als nur den Mindeststandard zu erfüllen. In seinem Vortrag ging der Stallbauexperte zunächst auf die Vorstellungen einer idealen Tierhaltung ein: Diese sind unter anderem: Freilandhaltung, artgerechte Haltung, ausreichend Platz, ein gesundes und nicht zu schnelles Wachstum oder der Verzicht auf Antibiotika sowie Futtermittel ohne Gentechnik.

Als Ziele der Stallbauplanung der Zukunft sieht Feller mehr Tierwohl durch veränderte Haltungs- und Aufstallungstechnik, die Emissionsminderung durch angepasste Fütterung und die Steigerung der Verbraucherakzeptanz. Hinsichtlich dessen fasste er folgende Probleme zusammen:
Die Wünsche von Tierschützern und Verbrauchern, Landwirten und Tierärzten sind nur schwer unter einen Hut zu bringen.

  • Die Landwirtschaft muss auf die Wünsche des Marktes eingehen und entsprechende Konzepte erstellen.
  • Einstreu und organisches Beschäftigungsmaterial werden in Zukunft eine bedeutende Rolle in der Tierhaltung einnehmen.
  • Ausläufe oder Außenklimareize sind emissionsrechtlich schwierig.
  • Die Produktionskosten werden sich deutlich erhöhen.

Futter für steigende Ansprüche

„Die Ställe, wie wir sie heute noch haben, sind ein Produkt aus einer Zeit, in der es nur um Arbeitswirtschaftlichkeit ging. Damit können wir heute nicht mehr arbeiten“, eröffnete Dr. Eckhard Meyer, Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG), Köllitsch, seinen Vortrag über Futter und Fütterungstechnik für heute und morgen. Es müsse gelingen, eine Verfahrenstechnik zu entwickeln, welche die Anforderungen von heute mit der Arbeitswirtschaftlichkeit verbindet.

Es gehe nicht nur um eine effiziente Aufbereitung, den Transport und die Bereitstellung von Futter, sondern auch, die steigenden Ansprüche an Leistung und Gesundheit der Tiere zu erfüllen und die Umweltrelevanz (Stoffstrombilanz) zu verstehen. Die Fütterung, gemessen an der Haltung unkupierter Schweine, muss Beschäftigung bieten, strukturiert sein, beruhigend wirken – mit möglichst wenigen Myko- und Endotoxinen – und die Darmgesundheit unterstützen. Sollten zwei Futterstrecken vorgesehen sein, bietet die erste das Hauptfutter mit einem optimierten Energiegehalt, die zweite das Beschäftigungsfutter mit zum Hauptfutter passenden Eigenschaften.