Insolvenzverfahren: Suche nach Rettung in der Not

Hochwasser, Dürre, Schweinepest – viele mögliche Krisenfälle bedrohen landwirtschaftliche Betriebe. Im schlimmsten Fall hilft nur das Insolvenzverfahren. Wir erläutern die Rechtslage.

Von André Houben, Rechtsanwalt

Durch den Dauerregen 2017 lagen die Ernteausfälle laut Angaben des Bauernverbandes im zweistelligen Prozentbereich. Wiederum auf Angaben des Bauernverbandes beruhend, berichtet die Wirtschaftswoche von existenzbedrohenden Ernteausfällen 2018 aufgrund der Dürre. Dabei ist von 18 bis 30 % Rückgang der Erntemenge die Rede. Wann die Afrikanische Schweinepest Deutschland erreicht, ist wohl nur noch eine Frage der Zeit. Der Krisenfall wird zumindest in Nordrhein-Westfalen schon geprobt. Bei Ausbruch der Seuche stehen in Deutschland die Schweineerzeuger vor dem Ruin. 

Aber auch das restriktive Verhalten der Banken bei Gewährung neuer Kredite bedroht die Unternehmen. Wenn nicht ausreichend Rückstellungen für Neuanschaffungen, Reparaturen oder Investitionen gebildet worden sind oder aber diese Rückstellungen von den Folgen von Überschwemmung und Dürre aufgefressen wurden, kann man nicht mehr zwingend auf die Hilfe der Banken hoffen. Die Banken verfahren nämlich nach deutlich strengeren Richtlinien bei der Gewährung von Krediten in Krisenzeiten als in Zeiten, zu denen die Betriebe noch positive Zahlen schreiben. Es ist bankentypisch, dass keine neuen Kredite mehr ausgereicht werden, wenn sich die Ergebnisse bei den Betrieben aufgrund der letzten beiden Jahre verschlechtert haben.

Landwirtschaftlichen Betrieben, die von einer wirtschaftlichen Krise betroffen sind, bietet auch zum jetzigen Zeitpunkt die Insolvenzordnung noch Sanierungshilfe in Form des Schutzschirmverfahrens. Danach bleibt die Geschäftsführung im Rahmen einer Eigenverwaltung des Betriebes unter Aufsicht eines gerichtlich bestellten Sachwalters im Amt und die Sanierung erfolgt über einen Insolvenzplan, in dem mit den Gläubigern Vergleiche geschlossen und damit die Schulden abgeschnitten werden. Das Schutzschirmverfahren wie auch die Stärkung der Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren sind eingeführt worden mit dem ESUG. ESUG bezeichnet das „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“, welches am
1. März 2012 in Kraft getreten ist. 

Insolvenzverfahren: ALTBEKANNTER WEG MIT HINDERNISSEN

Die Insolvenzordnung (InsO) gibt mehrere Möglichkeiten vor, um eine Entschuldung von Unternehmen zu erreichen. Normalerweise stellt man einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, wenn die vorhandenen oder kurzfristig zu erwartenden Geldmittel nicht ausreichen, um die Schulden und die Kosten des laufenden Betriebs zu begleichen. 

Dann wird ein Insolvenzverwalter bestellt, der das vorhandene Vermögen verwertet und am Ende nach zu begleichenden Verfahrenskosten den verbleibenden Rest an die Gläubiger verteilt. Das Unternehmen wird dann entweder schon bei Eröffnung des Verfahrens oder danach abgewickelt. 

Zwar können Einzelunternehmer einen Geschäftsbetrieb nach Eröffnung weiterführen, wenn der Insolvenzverwalter den Betrieb aus dem Insolvenzbeschlag freigibt. Für Gesellschaften oder Genossenschaften kommt dies aber nicht in Betracht. Sollen diese weitergeführt werden, ist es sinnvoll, einen Vergleich mit den Gläubigern herbeizuführen. Dieser Vergleich – der sogenannte Insolvenzplan – ist zwar auch in einem normalen Insolvenzverfahren möglich, aber ungleich schwieriger, weil in diesen Verfahren der Insolvenzverwalter derjenige ist, der die Vermögensmassen verwaltet und verwertet. Gläubiger sind dann ggf. so verärgert oder verschreckt, dass eine Einigung mit ihnen häufig nicht mehr denkbar ist. 

Die Insolvenzordnung enthält daher attraktive Möglichkeiten für einen Einzelunternehmer, den Geschäftsführer einer Gesellschaft oder den Vorstand einer Genossenschaft, eine Sanierung mithilfe der gesetzlichen Regelungen zu ermöglichen und bei dieser Sanierung noch die Zügel in der Hand zu behalten. Diese Verfahren sind das sogenannte Schutzschirmverfahren gemäß §§ 270, 270b InsO und das Verfahren in Eigenverwaltung gemäß §§ 270, 270a InsO. 

Schutzschirm für das Unternehmen

Beim Schutzschirmverfahren bleibt der Unternehmer die entscheidende Person. Ihm wird ein (vorläufiger) Sachwalter zur Seite gestellt. Eine wesentliche Aufgabe für den Unternehmer ist es, die laufenden Kosten kritisch zu hinterfragen und unwichtige, überteuerte oder langfristige Vertragsbindungen, für die es günstigere Angebote gibt, zu beenden. Hierzu regelt das Gesetz, dass nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bestimmte Dauerschuldverhältnisse trotz Restlaufzeit beendet werden können: Ein Telefonvertrag, der eine Laufzeit von noch 15 Monaten und dessen Abschluss sich als Fehler herausgestellt hat, kann durch eine einfache Erklärung, den Vertrag nicht mehr zu erfüllen, beendet werden. Das gleiche gilt mit maximal 3 Monaten Frist für die Beendigung von Arbeits- oder Mietverhältnissen. 


Über den Autor

André Houben ist Fachanwalt für Isolvenzrecht bei der Curator AG in Berlin


Der (vorläufige) Sachwalter überwacht, ob gläubigerschädigende Handlungen vorliegen. Das sind nicht etwa die zuvor genannten Kündigungen von Verträgen. In solchen Entscheidungen werden ernsthafte Sanierungsbemühungen gesehen. Schädlich wären aber die Zahlung von Altforderungen an Gläubiger, der Abschluss unsinniger Verträge (Luxusauto oder Segelyacht für den Geschäftsführer) oder die Annahme eines Auftrages, der keine nachvollziehbare Kalkulation enthält oder der offenbar zu keinem Gewinn führen kann. 

Wesentliche Voraussetzung des Schutzschirmverfahrens nach
§§ 270, 270b InsO ist, dass noch keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt, sondern allenfalls deren Drohen oder die Überschuldung. Dies muss ein Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt bescheinigen. Daneben muss binnen drei Monaten ein Insolvenzplan vorgelegt werden. Diese Hürden sind hoch. In aller Regel machen sich Unternehmer erst dann Gedanken über die Notwendigkeit der Inanspruchnahme von Hilfe, wenn die Zahlungsunfähigkeit bereits vorliegt. 

Eigenverwaltung und Insolvenzgeld

Das Eigenverwaltungsverfahren im Sinne der §§ 270, 270a InsO funktioniert ähnlich, hat aber Voraussetzungen, die leichter zu erfüllen sind: Auch hier wird ein (vorläufiger) Sachwalter bestellt, der die oben genannten Über­wachungsaufgaben hat. Allerdings ist weder die Vorlage eines Wirtschaftsprüfer-Gutachtens noch die Vorlage eines Insolvenzplans zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens notwendig. Selbstverständlich muss eine Liquiditätsprognose vorliegen. Nur mit dieser ist es möglich zu überprüfen, ob eine plausible Kosten- und Auftragskalkulation vorliegt. 

Im Schutzschirmverfahren und in der Eigenverwaltung kann nach Antragstellung und vor Eröffnung für maximal drei Monate eine finanzielle Unterstützung der Bundesagentur für Arbeit in Anspruch genommen werden – das Insolvenzgeld. Normalerweise wird Insolvenzgeld denjenigen Arbeitnehmern gezahlt, die bei Einstellung des Betriebs, der Abweisung eines Insolvenzantrags mangels Masse oder bei Eröffnung des Verfahrens bis zu drei Monate keinen Lohn erhalten haben. Jeder wird verstehen, dass es nicht sinnvoll wäre, einem Arbeitnehmer anzukündigen, er erhalte nunmehr für drei Monate keinen Lohn und könne diesen bei Eröffnung des Verfahrens bei der Bundesagentur für Arbeit einfordern. Soweit es die Bundesagentur betrifft, würde das funktionieren; der Arbeitnehmer wird zu einer Überbrückung eines solchen Zeitraums nicht in der Lage sein. 

Insolvenzordnung (InsO)

§ 270 Voraussetzungen

(1) Der Schuldner ist berechtigt, unter der Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen, wenn das Insolvenzgericht in dem Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Eigenverwaltung anordnet. Für das Verfahren gelten die allgemeinen Vorschriften, soweit in diesem Teil nichts anderes bestimmt ist. Die Vorschriften dieses Teils sind auf Verbraucherinsolvenzverfahren nach § 304 nicht anzuwenden.

(2) Die Anordnung setzt voraus,

1. dass sie vom Schuldner beantragt worden ist und

2. dass keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird.

(3) Vor der Entscheidung über den Antrag ist dem vorläufigen Gläubigerausschuss Gelegenheit zur Äußerung zu geben, wenn dies nicht offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners führt. Wird der Antrag von einem einstimmigen Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses unterstützt, so gilt die Anordnung nicht als nachteilig für die Gläubiger.

(4) Wird der Antrag abgelehnt, so ist die Ablehnung schriftlich zu begründen; § 27 Absatz 2 Nummer 4 gilt entsprechend.

BMJVGesetze im Internet

Dafür gibt es die Möglichkeit, die Insolvenzgelder vorzufinanzieren. Eine Bank, die üblicherweise vom Sanierungsberater organisiert wird, finanziert die Lohnansprüche vor, wenn die Arbeitnehmer ihre Lohnansprüche an die Bank verkaufen. Das ist für die Arbeitnehmer vollkommen risikolos: Weder kommt es auf die Bonität des einzelnen Arbeitnehmers an, noch wird diese abgefragt. Der Lohnanspruch wird nur an die vorfinanzierende Bank in der Höhe verkauft, in der diese den Lohnanspruch erfüllt hat bzw. erfüllen kann. Der Unternehmer muss für maximal drei Monate (fast) keine Personalkosten einplanen. Das ist eine vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit der Unterstützung des Unternehmens. Voraussetzung ist, dass das Unternehmen fortgeführt werden kann (Vorliegen einer nachvollziehbaren Liquiditätsprognose) und ein erheblicher Anteil der Arbeitsverhältnisse erhalten wird. Das sind derzeit mindestens 10 Prozent. Damit kann auch eine Sanierung mit Arbeitsplatzabbau einhergehen. 

Insolvenzplan zum Unternehmenserhalt

Beim Schutzschirmverfahren wird den Gläubigern zum Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens ein Insolvenzplan vorgelegt. Beim Eigenverwaltungsverfahren geschieht dies später, aber auch zeitnah. Dabei handelt es sich um einen Vergleich: Die Gläubiger verzichten auf eine Zerschlagung des Unternehmens und müssen ihre Forderungen nicht vollständig abschreiben. Das wäre bei einer Zerschlagung aber wahrscheinlich. 

Inhalt des Insolvenzplans ist eine Beteiligung der Gläubiger an zukünftigen Unternehmensgewinnen oder die Zahlung eines Investors oder sonstigen Dritten. Diese Gewinne oder Investitionen müssen höherwertig sein, als es die vorhandenen oder ohne Insolvenzplan erzielbaren Werte sind (also das verwertbare Anlage- und Umlaufvermögen und die durchsetzbaren Forderungen etc.). 

Diese sogenannte Vergleichsrechnung muss klar und nachvollziehbar die einzelnen Verwertungsvarianten (Zerschlagung, übertragende Sanierung mittels Auffanggesellschaft, Insolvenzplan) darstellen: Für jede Verwertungsvariante müssen die vorhandenen oder zu erzielenden Vermögenswerte nachprüfbar aufgelistet sowie die voraussichtlich anfallenden Kosten des Verfahrens und dessen Abwicklung ermittelt werden. Die verbleibenden Vermögenswerte bilden die Quote, die entsprechend dem Anteil der Gläubiger an der Gesamtsumme der Verbindlichkeiten an diese verteilt würde. Der Gläubiger muss in der Lage sein, diese Vergleichsrechnung zu verstehen und zur Grundlage seiner Entscheidung machen können. Oftmals ist der Insolvenzplan die einzige Möglichkeit zur Rettung des Unternehmens. Bei Landkäufen von der bundeseigenen Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) sind in den Verträgen zum Beispiel regelmäßig Strafen (Pönalen genannt) enthalten, wenn der Grund und Boden weiter verkauft werden soll. 

Die Abstimmung über einen Insolvenzplan erfolgt in einem Gerichtstermin. Dabei stimmen einige Gläubiger zwangsweise in jeweils eigenen Gruppen ab. Das sind zum Beispiel die absonderungsberechtigten Gläubiger (also die, die ein Sonderrecht an der Insolvenzmasse haben: Vermieter mit einem Vermieterpfandrecht, Sicherungsgläubiger etc.), aber gegebenenfalls auch die Arbeitnehmer oder der Pensionssicherungsfonds. Egal ob in einer einzigen Gruppe oder in mehreren abgestimmt wird: Entscheidend ist die Mehrheit der Köpfe und der Summen der Forderungen. Damit kann sich kein Großgläubiger gegen eine Mehrheit von Kleingläubigern durchsetzen. Gläubigerpflege bzw. -einbindung ist daher wichtig: Kein Gläubiger wird für ein Eigenverwaltungsverfahren oder einen Insolvenzplan zu begeistern sein, wenn er erst zu diesem Zeitpunkt mit einem Plan konfrontiert wird, nachdem er zuvor ignoriert wurde. 

FAZIT:

Krisenbedrohte landwirtschaftliche Betriebe können weiterhin über einen Insolvenzplan und in Eigenverwaltung saniert werden. Der Insolvenzplan bietet den Vorteil, das bestehende Unternehmen zu erhalten und von den Verbindlichkeiten mittels Schuldenschnitt zu befreien.