Von einer, die auszog, …

Mancher braucht dies: Ein Leben lang am selben Ort, im selben Job, von immer den gleichen, also vertrauten Leuten umgeben, er nennt es Bodenständigkeit, das liegt ganz nah an – Sicherheit. Andere benötigen jenes: Sich den Wind des Lebens um die Nase wehen lassen, sich in der Welt umgucken, sich Fremdem annähern, versuchen, es zu verstehen, Altes überprüfen, Neues mitnehmen, so den eigenen Weg finden. Anne-Katrin Liebe, Diplom-Agraringenieurin, rechnen wir Letzteren zu.

von Jutta Heise

Der ungewöhnlich zierlichen jungen Frau, dunkelblond, strahlend, selbstbewusst und redegewandt, ist daran gelegen, dass wir, zumindest ansatzweise, verstehen, was sie geprägt hat, warum sie stolz ist auf eine Familiengeschichte, die lang ist und von Durchhaltevermögen, Beharrlichkeit und Haltung berichtet. Deren aktuelles Kapitel die 37-Jährige nun mitschreibt.

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Der Hof am Rande von Templin, auf dem sie groß geworden ist, existiert seit 1752 als Königliche Abdeckerei, die der Urgroßvater um 1910 übernahm und nach den damals modernsten Richtlinien führte. Immer standen Pferde im Stall, schon aus dem pragmatischen Grund, dass seinerzeit Fuhrwerke die hauptsächlichen Transportmittel für genanntes Gewerbe waren.

Lebendig, als sei sie dabei gewesen, schildert uns Anne-Katrin, wie das Fachwerkhaus, heute ältestes Bauwerk außerhalb der Templiner Stadtmauer, einst anmutig und in Abgeschiedenheit die hügelige Endmoränenlandschaft mit ihren Äckern und Wiesen krönte: eine eigene Welt, in mehrfachem Sinne.

Die Großmutter führte einen privaten Gärtnereibetrieb, auch noch, als es politisch nicht mehr erwünscht war. Als Inventar in die LPG eingebracht werden musste, Land „zwangsverpachtet wurde“, blieb die individuelle Hauswirtschaft auf einem kleinen Stück Acker zur Selbstversorgung die Verbindung zu Boden und Tieren. „Meine Schwester und ich konnten schon als Kinder mit Sense und Forke umgehen.“ Anne-Katrin durfte, weil sie sich besonders geschickt mit den Vierbeinern anstellte, sogar das Fuhrwerk anspannen.

Ach, ja, die Pferde. Wie man mit ihnen verfährt, mit jener Mischung aus Sachverstand, Intuition und Liebe, die uns die Kreatur geneigt macht, ist ein Erbteil des Vaters. Seit fast zwanzig Jahren züchten beide Islandpferde, diese besondere Spezies mit ihrem gutmütigen Charakter, ihrem ausgeprägten Arbeitswillen, die zusätzlich zu den Grundgangarten den Tölt beherrscht, der durch seine weichen Bewegungen eine angenehme Art der Fortbewegung bietet, zum Reiten höchst geeignet.

Ein nachvollziehbarer Ansatz, sich nach dem Abitur für ein Praktikum auf einem Biolandbetrieb zu entscheiden. Nicht auf einem x-beliebigen, sie hat ihn sich wohlüberlegt ausgesucht. Sein Profil, eine Kombination von Reitbetrieb mit Islandpferden, von Tourismus und, zuallererst, der Produktion von Nahrungsmitteln auf ökologischer Basis, gefällt ihr, ist in der Uckermark nicht zu finden, aber nahe Osnabrück, 300 Kilometer entfernt. Die 18-Jährige ist neugierig auf die Welt. 365 Tage voller Entdeckungen.

„Bis dahin hatte ich von den Altbundesländern kein Zipfelchen gesehen. Und von ökologischem Landbau wenig genaue Vorstellungen. Auf dem Hof habe ich gelernt, wie man wirtschaftet, die Arbeiten organisiert und koordiniert, dabei noch Kinder großzieht, Praktikanten integriert.“ Erfahrungen, die ihr Jahre später mit ihrer Tochter Anna-Sophie, heute sechs, und Sohn Philipp Matheo, gut eineinhalb Jahre alt, wieder präsent sind. Sie ihrerseits konnte damals, drei Jahre nach der Wende, dieses und jenes falsche Bild vom „Osten“ ein bisschen gerade rücken.

Der Markstein an sich für ihren beruflichen Weg ist gesetzt. Zurück in Templin, gründet sie auf dem elterlichen Hof eine Reitschule. Die 19-jährige Jungunternehmerin startet mit drei selbst gezogenen Islandponys. Das Angebot Reiten auf den gemütvollen Pferden, artgerecht aufgezogen, trifft den Nerv der Zeit. 1997 nimmt sie ein Studium der Agrarwirtschaft mit der Spezialisierung Ökolandbau an der Fachhochschule Neubrandenburg auf. Eine Reitschule lässt sich schwer aus der Ferne regieren. „Ich bin bis zum Abschluss des Studiums 2000 fast jeden Tag gependelt, um die Reitschule weiter auszubauen und meine Eltern zu unterstützen.“ Seit 1996 bewirtschaftet die Familie 200 Hektar Acker- und Grünland, davon 80 Hektar Eigentum, nach Bioland-Kriterien: Vater Norbert, gelernter Elektriker, womit er mehr den Zwängen der Zeit gefolgt war, als seiner Neigung, die immer der Landwirtschaft gehörte und den Pferden, ist mit einem Angestellten für alles Ackerbauliche zuständig. Der Hof ist anerkannter Ausbildungsbetrieb für künftige Landwirte. Die Mutter, pensionierte Lehrerin, kümmert sich um Hofambiente und Garten.

Anne-Katrins wichtigste Erkenntnis

„Der ökologische Landbau, wie man umgeht mit den Ressourcen unserer Umwelt, hat sich für mich als das schlüssigste Konzept von Landwirtschaft erwiesen.“

Bauernzeitung stärkt Fachkompetenz

Anne-Katrin macht sich erneut auf: „Nach dem Studium bin ich als Assistentin des Betriebsleiters auf einen Milchviehbetrieb mit 1.500 Tieren nach Sachsen gegangen.“ Obwohl sie sich damals schon gegen die konventionelle Landwirtschaft entschieden hatte, „war mir dieser Blick über den Tellerrand wichtig. Man darf nicht engstirnig denken.“ Manches könne sie sogar nachvollziehen. „Zum Beispiel dass der Betrieb den hohen Tierbestand beibehielt, um keine Arbeitskräfte entlassen zu müssen. Akzeptieren konnte ich es nicht.“ Inzwischen hält Anne-Katrin 20 Schulpferde. Ihre Philosophie wird bestimmt vom Centered Riding, dem Reiten aus der Körpermitte, einer Methode, um innere Balance und Körperkon­trolle zu stärken. Zudem hat sie bis zum vorigen Jahr eine reittherapeutische Ausbildung gemacht, wieder fern von Zuhause, ein Jahr an der Heilpädagogischen Reitschule im niedersächsischen Ostercappeln sowie ein fünfjähriges Fernstudium mit Seminaren in Geldern, nahe der holländischen Grenze. Reiten als Therapie kann Beschwerden lindern, so bei Muskelerkrankungen, nach Unfällen. 

Den alten Vierseithof haben die Liebes 2000 neu hergerichtet. Er steht unter Denkmalschutz – dank dem Großvater, der ihn so seinerzeit vor mancher Begehrlichkeit von höherenorts schützen konnte. Die Lage des Hofes ist idyllisch, man hat direkten Zugang zum Temp-liner Kanal. Man vermietet vier Ferienwohnungen. Wer schlau ist, macht hier Natururlaub komplett – von Reiten bis Kanufahren. Anne-Katrin wirbt, ganz Uckermärkerin, nachdrücklich für ihre Heimat: „Wir haben Industrie, Landwirtschaft, Handwerk, Tourismus, einen riesigen Naturschatz.“ Dem ist auch ihr Mann, gebürtiger Berliner, Di­plomforstingenieur, erlegen, der im Naturpark Uckermärkische Seen seinen Zivildienst leistete und sich nicht nur in die Landschaft verliebte. Die 37-Jährige kennt sich mit Flora und Fauna aus wie ein Nationalpark-Guide. Mancher Ausritt führt vorbei an Wiesen, auf der noch der Sonnentau steht, eine heimische Orchideen-Art. „Die Flächen werden von einigen unserer Pferde beweidet, damit sie nicht verbuschen.“

Gleich etlichen Zugezogenen und einstigen Abwanderern ist auch Anne-Katrins Schwester in die Heimat zurückgekehrt. Nach zehn Jahren, möglicherweise für immer. Für alle wünscht sich Anne-Katrin Liebe von „ihren“ Uckermärkern, denen Zuverlässigkeit und Hilfsbereitschaft, aber auch eine gewisse spröde Zurückhaltung nachgesagt wird, eine Art virtuelles Empfangskomitee: Wer wiederkommt oder sich neu ansiedelt, hat schließlich immer ein ganz kleines Stück Welt im Gepäck. Einen Schatz – so oder so.